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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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drauflos. Mal wieder. 

Fünfundvierzig
    Als wäre nichts gewesen, komme ich
eine Stunde später geschrubbt, gedresst und gestylt ins Foyer hinunter. Auf
meine Frage hin deutet mir ein Portier die Richtung des Festsaals, und bald
stehe ich auch schon inmitten einer Gruppe furchtbar vornehm wirkender
Menschen, die wahrscheinlich allesamt deshalb hier sind, weil sie ihren letzten
Silvestervorsatz Mehr Kultur! noch vor Mitternacht einlösen müssen.
    Martin wirkt
nicht wirklich glücklich inmitten der selbsternannten High Society, doch sein
Gesicht hellt sich schlagartig auf, als er mich erblickt. Mit einer
halbherzigen Entschuldigung wendet er sich von seinem Gesprächspartner ab und
kommt zu mir herüber.
    „Du siehst bezaubernd
aus.“ Galant gibt er mir einen Handkuss, und nur sein betont lüsternes
Augenzwinkern enttarnt die vornehme Geste.
    Ich lächle ihn
an und fühle mich auf einen Schlag besser. „Dankeschön!“
    Langsam lasse ich meinen Blick schweifen. Obwohl diese Veranstaltung
alles andere als zum Wohlfühlen einlädt, genieße ich es doch, hier zu sein –
mit diesem Wahnsinnstypen an meiner Seite, den sämtliche Frauen zwischen
fünfunddreißig und fünfundfünfzig mehr oder weniger verstohlen anhimmeln. Ab
und an löst sich eine von ihnen aus der Menge und bittet Martin vorab um ein
Autogramm oder ein gemeinsames Foto, und ich bin beeindruckt, mit welch
gelassener Höflichkeit er dieses Spiel wieder und wieder mitspielt. Ohne Frage:
Er ist der vollendete Gentleman. Er schenkt jeder Frau ein Lächeln und verteilt
hier und da auch mal ein kleines Kompliment… Binnen Minuten ist der Saal voll
von positiv geladener Flirtenergie, und ich frage mich, ob man Martin nicht
irgendwie in Flaschen abfüllen und verkaufen kann. Ich denke, es würde die Welt
ein kleines bisschen besser machen.
    Schließlich
klingelt ein Glöckchen, und als wäre Literatur nüchtern nicht zu ertragen,
bewaffnet sich ein jeder erst noch mit einem Glas Champagner, ehe er seinen
Sitzplatz aufsucht. Auch Martin macht sich auf den Weg zur Bühne – ohne
Schampus, dafür aber mit einem letzten Kuss, den er mir in die Halsbeuge
drückt. Die Intimität dieser Geste rieselt in kleinen Schauern meinen Nacken
herunter, und doch kann ich nicht umhin mich zu fragen, das wievielte Partygirl
an seiner Seite ich wohl sein mag? Immerhin war Martin nie verheiratet und auch
nie sonderlich lang liiert. Bei zwanzig Jahren Vorsprung dürfte da Einiges
zusammenkommen… Ich denke an unsere Unterhaltung über seine Bibliothek und
zucke innerlich zusammen. Wie intim kann ein Kuss sein, wenn die Geküsste so
austauschbar ist wie ein Buch aus der Leihbücherei? Stirnrunzelnd schüttele ich
den Gedanken ab. Das gehört nun wirklich nicht hierher. Ich gehöre
hierher. Oder?
    Ich verzichte
vorerst darauf, mich unter das zahlende Publikum zu mischen, und stelle mich
lieber an einen der frei gewordenen Stehtische, um den Überblick zu behalten.
Die Bühne am anderen Ende des Saales ist hell erleuchtet und, neben einigen
goldenen Ballons, mit überdimensionierten Covern der anwesenden Autoren
geschmückt – Marketing ist alles, schließlich muss Kunst ja auch satt machen.
Außer Martin sind noch zwei weitere Männer und eine Frau eingeladen worden, die
jetzt von einem etwas unbeholfen wirkenden Moderator kurz vorgestellt werden. Von
der Frau, Irmela Hagedorn, habe ich sogar schon etwas gehört, doch die beiden
Herren sind mir gänzlich unbekannt. Einer von ihnen, ein wirrer Lockenkopf mit
ähnlich wirrem Buchcover, steht jetzt auf und geht zum Lesepult. Es ist Manuel
Seiffert, der mit einer Lesung aus seinem Debütroman Perlen vor die Säue den Opener macht. Ich bin gespannt. Der Saal auch. Es ist mucksmäuschenstill.
    „ Haiku “,
erklingt es da von der Bühne.
    „ Spiegelndes
Ei
    im
Purpur-Glanz
    über der Bratpfanne des Schweigens .“
    Ich halte mir diskret
die Hand vor den Mund, um ein Glucksen zu unterdrücken, während Herr Seiffert
sich mit einem Schluck Wasser die Stimmbänder befeuchtet. Danach blickt er
wichtig in die Runde, greift wieder nach seinem Buch, und blättert vor zum
nächsten Lesezeichen.
    „ Von der
Nacht betagt, vom Tage umnächtigt, irre ich vorbei an kunterbunten Villen auf
der Suche nach dem lösenden R – der Erlösung… “ 
    Was ist das hier? Avantgarde für
Anfänger? Ich komme mir ein bisschen vor wie bei Hape Kerkelings legendärem Hurz! -Auftritt
und überlege, wo Radio Bremen wohl diesmal die Kamera versteckt

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