Liebe 2.0
haben
mag. Vielleicht hinter der Champagner-Pyramide? Gute Idee! Ich denke, ich
genehmige mir doch ein Glas. Anders ist diese Darbietung ja nicht zu ertragen!
Während Herr Seiffert ein paar spitze Schreie ausstößt, exe ich das Prickelzeug
weg wie nix und nehme mir schnell noch ein zweites Glas. Geschickte Strategie! Wäre
der Abend nicht all inclusive, könnte man meinen, der Veranstalter würde mit
der Verpflichtung von Herrn Seiffert seine Getränkeeinnahmen verdreifachen
wollen.
Am Aufstieg zur Bühne sitzt Martin
und unterhält sich mit Irmela. Es sind nur kurze Sätze, die beide austauschen –
schließlich ist man höflich, wenn ein Kollege vorträgt. Gerade als ich mich
frage, ob es in dem Gespräch wohl um die dargebotene künstlerische Leistung
geht, fängt Martin meinen Blick auf und schickt mir ein süffisantes Lächeln
herüber. Erleichtert lächele ich zurück. Anscheinend liegt es nicht an meinem
fehlenden intellektuellen Zugang, dass ich nicht mit ernster Miene zuhöre,
sondern am liebsten laut loslachen würde.
Als Herr
Seiffert plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf der Bühne umhertanzt,
erhebt sich Martin diskret und kommt zu mir herüber. „Was stehst du denn so
abseits? Zum Mauerblümchen taugst du nun wirklich nicht.“
„Ich wollte
einen gewissen Sicherheitsabstand einhalten, rein intuitiv. Und wie man sieht,
hat mein Instinkt mich nicht im Stich gelassen.“
Martin nickt
lächelnd, während ich wieder zur Bühne blicke. Ich habe ehrlich gesagt etwas
Sorge, Manuel Seiffert könne sich in einem unbedachten Augenblick auf sein
Publikum stürzen und es mit seiner Tollwut infizieren, daher will ich weder ihn
noch den Notausgang für längere Zeit aus den Augen lassen. Doch Martin, der
meine Gedanken ahnt, beugt sich beruhigend an mein Ohr.
„Keine Angst“,
raunt er. „Hunde, die bellen, beißen nicht. Und außerdem solltest du schon ein
bisschen aufgeschlossener sein. Ich meine: Wann hört man schon mal eine
Liebesgeschichte aus der Perspektive eines Dickdarms?“ Martins Augen blitzen
mich vergnügt an, und ich muss mich noch mehr zusammenreißen.
„Hör auf, hör
auf“, kichere ich, „sonst kann ich für nichts garantieren!“
„Umso besser!“,
grinst Martin zufrieden und reicht mir ein neues Glas. Beherzt nehme ich einen tiefen
Schluck. Das tut gut! Noch eins, und ich lasse mir Perlen vor die Säue signieren.
„Wann bist du
dran?“, frage ich Martin, woraufhin er einen zerknitterten Programmzettel aus
seinem Jackett zieht. Er runzelt die Stirn.
„Gleich kommt
erst mal Irmela, dann gibt es eine Pause, dann kommt Frederick Büsner – und
dann ich.“
„Hebt man sich
dich also bis zum Finale auf – wie schmeichelhaft! Du hast quasi drei
Vorbands…“
„Wahrscheinlich
haben die eher von meiner Vorliebe für Alkohol erfahren und wollten Kosten
sparen. Schließlich bin ich so gezwungen, fast den gesamten Abend nüchtern zu
bleiben.“ Martin zieht ein gequältes Gesicht.
„Ach komm“,
winke ich ab. „Der berauschte Literat ist spätestens seit Hemingway out. Die
Suchtattitüde nimmt dir keiner ab!“
Martin hebt erst
ironisch die Augenbraue, grinst dann aber wieder. „Du hast ja Recht. Der Autor
von heute ist einfach viel zu gewöhnlich, direkt prosaisch…“ Er wirft einen
Blick auf die Bühne. „…oder aber schlichtweg schizo.“
Genau in diesem Moment beendet Manuel Seiffert seinen Vortrag mit einem
Urschrei, und ein paar Leute beginnen vorsichtig zu klatschen. Wahrscheinlich
sind sie ebenfalls misstrauisch, ob nicht irgendwo eine Kamera versteckt ist
und sie des schlechten Geschmacks überführt. Doch bevor das Publikum sich noch
dafür entscheidet, den Rest des Abends lieber auf einer bodenständigen
Ballermann-Party zu verbringen, erklimmt Irmela die Bühne und reißt das Ruder
herum. Ihr Roman Durststrecke ist genauso witzig und charmant wie sie
selber, und ich bin ihr sehr dankbar, mich doch nicht ins Koma saufen zu
müssen. Stattdessen traue ich mich nun, meinen Wachposten aufzugeben und mich
ebenfalls unter das sitzende Volk zu mischen, während Martin brav zu seinen
Kollegen zurückgeht und dabei sichtlich bemüht ist, dem schweißgebadeten Manuel
Seiffert nicht zu nahe zu kommen.
In der Pause sind schließlich alle
Gäste aufgetaut und zeigen keinerlei Berührungsängste mehr, so dass das
literarische Quartett voll in Beschlag genommen wird. Es gibt weitere
Autogrammwünsche, Fotos, viel Lob und Schmeichelei, aber auch kritische
Nachfragen
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