Liebe 2.0
Idee. Mir
knurrt der Magen!“
Fünf
Am Samstagmorgen sitze ich in der
Badewanne, um mich herum Berge von Schaum, ich selbst bis zur Nasenspitze im
Wasser. Auf dem Badewannenrand balancieren ein paar Teelichte, und der auf der
Waschmaschine geparkte Laptop spielt Tarja . Tut das gut!
Ich streiche
vorsichtig über meinen Körper, den gestern zum ersten Mal wieder ein Mann
berührt hat. Den gestern zum ersten Mal ein anderer Mann als Jonas berührt hat.
Verrückt. Wer hätte gedacht, dass es so einfach sein würde? Fast wie Pflasterabreißen,
nur mit Orgasmus.
Zwölf Jahre mit
ein und demselben Mann sind eine lange Zeit. Zwölf Jahre mit dem ersten und
einzigen Mann sind eine Ewigkeit. Das schüchtert ein. Denn auch wenn diese
Ewigkeit in beiderseitigem Einvernehmen theoretisch schon vor einem halben Jahr
aufgehoben wurde, setzt sie sich praktisch doch ungefragt weiter durch mein
Leben fort. Durchzieht meine Gedanken, kommentiert einfach alles, wo ich gehe
und stehe, was ich tue und lasse. Erinnerung ist eine Weltmacht, deren
Wirkungskreis bis in deine Zukunft hineinreicht – ob du willst oder nicht.
Nur bei der Sache mit Max, da kam sie bisher nicht durch. Da ist
irgendwie ein unsichtbarer Schutzschild, an dem jegliches Grübeln abprallt. Was
wohl vor allem daran liegen mag, dass ein One-Night-Stand wenig mit Denken zu
tun hat. Sinneslust statt Gedankenfrust. Die Magie des Augenblicks statt
Ewigkeitsansprüche. Das gefällt mir. Endlich einmal macht es Spaß, querfeldein
zu wandern!
Ich schließe die Augen und rufe mir
den gestrigen Abend noch einmal in Erinnerung. Was nicht sonderlich schwer ist,
denn mein Körper ist ein unbestechlicher Zeuge: Meine Lippen, die von Max’
Küssen aufgeraut sind. Mein Steißbein, das beim Sturm auf den Schreibtisch
einige Blessuren davongetragen hat. Mein Muskelkater, der davon herrührt, dass
Max und ich nach einem kurzen Zwischenspiel im Irish Pub mit Guiness und Chips
direkt zu ihm nach Hause sind, um dort noch die halbe Nacht weiterzuvögeln. Und
zuletzt dieser süße Schmerz zwischen meinen Beinen, der einen ungeahnten
Masochismus in mir weckt…
Mit einem
zufriedenen Seufzer lasse ich mich noch tiefer in die Wanne sinken. Ich fühle
mich total erschlagen und gleichzeitig lebendig wie nie zuvor. Was so ein
bisschen Sex doch für Wunder wirken kann! Aber ich kenne mich. Allzu lange wird
sich mein Verstand nicht in Schach halten lassen. Ich höre förmlich, wie er
sich in den Tiefen meines Gehirns neu organisiert und darauf lauert, mich in
einem unachtsamen Augenblick zu überrumpeln und die Herrschaft wieder an sich
zu reißen: Und was jetzt? Wie geht es weiter? Meinst du allen Ernstes, dass
ein bisschen Bumsen dir dabei hilft, dein Leben wieder auf die Reihe zu
bekommen? Was ist mit deinen Zielen? Wo sind deine Träume?
Noch haben diese Gedanken jedoch keine Chance, denn der postkoitale
Rauschzustand ist einfach zu schön. Und um demonstrativ jede neue Diskussion
bereits im Keim zu ersticken, tauche ich schließlich ganz unter und kehre der
Welt und ihren Anforderungen den Rücken. Es sind vielleicht vierzig Sekunden,
die ich die Luft anhalten kann, aber in dieser Zeitspanne gibt es nur mich, das
Wasser – und die Musik, die durch ihren Umweg über die Badewannenwand ein
bisschen dumpfer und basslastiger, jedoch auch atmosphärischer klingt:
“I close my eyes to escape the walls around me and I drift away. Inside
the silence overtakes the pain and in my dreams I feel immortal. I am not
scared, no I’m not scared. I feel immortal when I am there, when I am there…”
Als Kind habe ich Disneys Arielle,
die Meerjungfrau im Kino gesehen und danach wochenlang in der Badewanne
Meerjungfrau gespielt. Arielle rockte – nicht zuletzt deshalb, weil sie nach Pipi
Langstrumpf und vor Germany’s Next Topmodel eine der wenigen rothaarigen
Identifikationsfiguren innerhalb der Medienlandschaft darstellte. Dafür war ich
ihr echt dankbar, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich einen schweren Stand.
Aber mit Arielle wurde Rot das neue Schwarz, zumindest für die Dauer des ersten
Schuljahres.
Und mit einem Mal stelle ich mir wieder vor, wie es wäre, eine
Meerjungfrau zu sein und auf dem Meeresgrund zu leben. Es hätte durchaus
Vorteile: Fern von einer Welt voller Liebeskummer, Selbstzweifeln und Jobfrust
würde ich den ganzen Tag mit einem kleinen Fisch durch die Gegend flitzen oder
mit der Krabbe um die Wette singen. Ich hätte einen schmucken Meermann, der
durch das tägliche
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