Liebe 2.0
keine
Eremiten. Aber Aufhübschen und Weggehen ist doch etwas ganz anderes, wenn du es
für jemanden tust, den du schon an der Angel hast. Hattest. Ich seufze noch
einmal.
Nachdem Jonas
und ich uns getrennt hatten, nachdem der Schock nachgelassen und die Betäubung
gewichen war, fühlte ich mich ein bisschen so wie früher, wenn ich sturmfrei
hatte. Damals war ich am ersten Tag immer total aufgeregt und wusste vor lauter
Freiheit gar nicht, was ich zuerst machen sollte: Laute Musik hören, verbotene
Filme gucken, kiffen, Alkohol trinken, Junkfood essen, Freunde einladen…
Bereits Wochen vorher hatte ich alles genau geplant, aber als die Zeit dann
gekommen war, verlief es irgendwie ganz anders. Ich stellte fest, dass
verbotene Filme definitiv überschätzt werden, mir von Gras übel wird und
Tiefkühlpizza zwar mal ganz schön ist, aber auf Dauer nicht wirklich satt
macht. Und was will man tagsüber mit noch so vielen Freunden, wenn man sich
nachts alleine fürchtet?
Ich müsste
lügen, würde ich behaupten, ich hätte während meiner Beziehung mit Jonas
niemals daran gedacht, wie es wohl wäre, einmal sturmfrei zu haben. Denn so
romantisch es klingt, nach Jahren immer noch mit seiner ersten Liebe zusammen
zu sein, so hat dieses Ideal auch seine Schattenseiten. Nur einen ersten Kuss.
Nur ein erstes Mal… Klar: Die gemeinsame Geschichte, das gemeinsame Leben, das
sich nach und nach aufgebaut hat, wurde mit den Jahren immer fester, immer
bestärkender. Und doch konnten sich mit der Zeit Zweifel im Gemäuer einnisten.
Geheime Sehnsüchte, etwa wie es wäre, jemanden von Grund auf neu kennen zu
lernen. Sich in einen erwachsenen Mann zu verlieben statt in einen Teenager. Und
mit diesem Mann intensiv den Rausch der ersten Monate zu durchleben, in denen
man das Bett nur verlässt, um kurz beim Bringdienst etwas zu bestellen. (Nicht,
dass ich darin eigene Erfahrung hätte. Aber nach dem Gastspiel mit Max habe ich
immerhin eine ungefähre Vorstellung davon.) Orgasmusglück statt
Entjungferungsschmerzen. Sich hingeben, ohne ständig auf die Geräusche der
Eltern vor der Zimmertür zu horchen. Leidenschaft und Ekstase statt
unbeholfener Neugier und langsamem Lernen. Das meine ich!
Natürlich wurde
auch der Sex zwischen Jonas und mir großartig. Schon deshalb, weil wir uns eine
lange Zeit über wahnsinnig geliebt haben. Und trotzdem. Man sagt nicht umsonst,
dass man die erste Liebe nicht heiratet. Denn der Preis für das, was Jonas und
ich an anderer Stelle hatten – diese innige Vertrautheit, bei der die Seelen
sich so oft berühren, dass man irgendwann gar nicht mehr weiß, wo der eine
aufhört und man selber beginnt –, war hoch. Und infolge unseres inflationären
Beziehungsabbaus wurde er irgendwann zu hoch.
Ich habe Jonas niemals betrogen. Und er mich auch nicht, davon gehe ich
fest aus. Es gibt Dinge, die macht man einfach nicht. Das ist schon allein eine
Frage des Respekts. Und schlussendlich glaube ich auch nicht, dass es unsere
Beziehung hätte retten können, wenn wir kurzzeitig andere Erfahrungen gesammelt
hätten. Nichts hätte unsere Beziehung mehr retten können. Stattdessen kam der
Tag, an dem ich wirklich sturmfrei hatte. Und nach ihm noch viele weitere. Und
wie befürchtet, fühlte es sich ganz anders an, als in unzähligen Phantasien
ausgemalt. Denn ganz davon abgesehen, dass ich keine Ahnung hatte, wie man
abseits vom Schulhof überhaupt flirtet, hatte ich schlichtweg viel zu viel
damit zu tun, mein Leben als solches wieder auf die Reihe zu kriegen. Erst die
Arbeit, dann das Vergnügen. Also verbrachte ich die ersten post-Jonas-Monate
damit, vorübergehend wieder bei meinen Eltern einzuziehen und mich in
Selbstmitleid zu suhlen, was auf den ersten Blick wenig konstruktiv erscheinen
mag, jedoch meines Erachtens unvermeidlich ist. „All inclusive“-versorgt und
ohne jede Ablenkung durch lästige Nebensächlichkeiten wie Einkaufen, Kochen und
Putzen, konnte ich meine Sinne zusammensammeln und nach und nach eine
provisorische Agenda ausrichten.
Punkt 1: Eine eigene Wohnung.
Nachdem ich
endlich genug Kraft fand, wieder den Anzeigenteil der Zeitung in die Hand zu
nehmen, dauerte es zum Glück nicht allzu lange, bis meine kleine feine Wohnung
und ich uns gefunden hatten. Und wir vertragen uns bislang ganz gut, muss ich
sagen. Nur ganz selten packt es mich, und ich muss trotz aller Geborgenheit
meine Jacke schnappen und fluchtartig den Raum verlassen. Dann habe ich zu
lange auf irgendein Möbelstück, ein
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