Liebe 2.0
Durchdachteste ist. Diskrete Zurückhaltung in
puncto Privatleben auf der einen, völlige Hemmungslosigkeit im Sexleben auf der
anderen Seite. Wer das rational erklären kann, möge sich bitte bei mir melden.
Es ist schon seltsam, wie man sich trotz größter Intimität so fremd bleiben
kann. Small Talk – Big Sex. Ich kenne den Leberfleck an Max’ linker Leiste,
aber nicht seinen Nachnamen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal einen
Blick auf sein Klingelschild werfen. Anstandshalber.
Und sonst so?
Die Arbeit in der Redaktion plätschert weiter vor sich hin, angeregt durch die
eine oder andere Stromschnelle, die sich um einen zufälligen
Gletscheraugen-Augenblick bildet. Auch heute blitzt Max mir frech von der
gegenüberliegenden Seite des Redaktionstisches zu, und ich grinse, an unsere
letzte Nacht denkend, entspannt zurück.
Astrid sieht
mich skeptisch von der Seite an. „Was ist denn mit dir los? Irgendeine neue
Droge?“
Nun, das würde
ich so nicht sagen. Aber ehe ich weiß, was ich tatsächlich entgegnen kann,
springt Sven mit einem Mal wie von der Tarantel gestochen auf und hechtet
hinaus. Ich kann gar nicht so schnell gucken. Irritiert schüttele ich den Kopf.
War er nicht gerade mitten in einem Satz? Fragend schaue ich in die Gesichter
der anderen, die ähnlich verstört dreinblicken, wie eine Herde Schafe bei
Gewitter. Soviel Action ist man bei Totallokal nicht gewohnt.
„Sven geht es
nicht so gut. Ich glaube, er hat was mit dem Magen oder so…“, sieht Katja sich
schließlich genötigt, die Situation zu erklären. Bei genauerer Betrachtung
sieht sie ebenfalls nicht ganz fit aus. Was nicht weiter verwundert, denn
schließlich hatte sie mit Sven zusammen Frühschicht. Und sollte es tatsächlich
eine Magen-Darm-Grippe sein, hat sie sich wahrscheinlich schon angesteckt.
Wir sind gerade
inmitten einer (aus gegebenem Anlass angeregten) Diskussion über einen
Gesundheitsbeitrag zum Thema Grippeschutz, als Sven zurück kommt. Richtig grün
sieht er aus.
„Sven, geht es
wieder?“, fragt Thomas zu allem Überfluss.
„Nee, ehrlich
gesagt nicht.“ Sven wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Ich weiß nicht,
mich muss es irgendwo erwischt haben. Verdammt! “ Das Letzte ruft er mit
solch einer Kraft, dass er daraufhin fast zusammenklappt. „Heute Abend ist doch
die Lesung von Martin Egger… So ein Mist! “
„Hör mal, Sven,
das ist doch echt kein Ding“, versucht Thomas, die kränkelnde Diva zu
beruhigen. „Wir schicken da einfach jemand anders hin. Mach dir keinen Kopf!“
Sein Blick schweift über unsere illustre Runde, und ich merke, wie ich mich unwillkürlich
ducke. Thomas nickt zufrieden. „Wie wär’s mit Julia?“
Na klasse.
Genau. Wie wär’s mit Julia? Die hat ja schließlich kein Privatleben! Wer
braucht schon Freitagabende, wenn er für seinen verhassten Job durch die Gegend
fahren kann! – Das Blöde ist, dass mir tatsächlich nichts Besseres einfällt,
als genau eben dies zu tun. Zerknirscht lenke ich ein.
„Okay, von mir
aus kann ich das übernehmen. – Hast du denn deine Recherchen für das Interview
hier im Büro?“, wende ich mich geschäftstüchtig an Sven. Professionalität, dein
Name ist Julia.
„Nein!“ Sven
knirscht frustriert mit den Zähnen. Ihm liegt wirklich viel an dem Auftrag,
wieso auch immer. „Das habe ich alles zu Hause, schließlich wollte ich auch von
dort aus starten. Aber über die Verlagsseite findest du Links mit
Pressematerial. Und dann - - -“
Plötzlich rennt
Sven schon wieder raus und vergisst vor lauter Schreck das Wiederkommen. Nun
gut.
„Also, Julia, du
übernimmst heute Abend für Sven“, notiert Thomas ungerührt. „Wie sieht es denn
mit Julias Termin heute Mittag beim Museum aus – kann den jemand übernehmen?“
Betretenes
Schweigen. Typisch. Gänzlich falsche Fragestellung. Und ich darf es wieder
ausbaden.
„Kein Problem,
ich krieg’ das schon beides hin“, beruhige ich Thomas. Dabei sehe ich das Ganze
nicht halb so locker, wie ich vorgebe. Ich hasse es, irgendwo unvorbereitet
hinzugehen. Und während Sven sich seit zwei Wochen für diesen Termin präpariert,
bleiben mir vielleicht zwanzig Minuten. Professionalität, dein Name ist… aber
ich glaube, das hatten wir schon.
Zehn
Ein paar Stunden später sitze ich
in der Straßenbahn und ruckele meinem Date mit Martin Egger entgegen. Wie so
oft kurz vor knapp, dafür aber einigermaßen zurechtgemacht. Wenn ich schon
inhaltlich nichts zu bieten habe, dann
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