Liebe 2.0
nein, keinen
Alkohol im Dienst! Als ich abwehrend mit beiden Händen gestikuliere, fällt mir
die Hälfte der Kritiken auf den Boden. Na Klasse!
Ich breche
unsere pantomimische Diskussion ab und knie mich runter, um rasch die Ergüsse
aus der Welt , der TAZ und anderen Meinungsmachern aufzusammeln.
Und während ich so über das Parkett krieche, sehe ich plötzlich zwei Füße vor
mir, die definitiv keiner Frau gehören – es sei denn, sie trägt gern
Herrenschuhe Größe 46.
Tatsächlich
hockt sich mit einem Mal der Herr Kollege zu mir herunter, um mir behilflich zu
sein. Kavalier, der! Ich sehe blond behaarte, nicht mehr ganz junge Hände, die
gemeinsam mit meinen die Zettelwirtschaft zusammenkehren und aus einem grauen
Jackett herausgucken. Unter dem Jackett trägt der Kavalier ein grau-weiß
gestreiftes Hemd, von dem die obersten zwei Knöpfe offen stehen. Als mein Blick
dem Hals aufwärts folgt, landet er in einem sympathischen, wettergegerbten
Gesicht mit wachsamen grauen Augen, gerade geschnittener Nase und einem
schmalen Mund, der sich in diesem Augenblick zu einem Lächeln verzieht. „Sie
haben ja Ihren halben Haushalt mitgebracht.“
„Ja ja!“, lache
ich, „Was tut man nicht alles, um vorbereitet zu sein! – Wie ich sehe, haben
Sie sich auch präpariert?“ Ich deute auf seine Unterlagen, die er auf einem
Stapel Fantasy abgelegt hat.
„Wie? Äh, ja
klar!“ Er wirkt leicht irritiert, dann fällt sein Blick auf mein Aufnahmegerät.
„Ach, Sie sind vom Radio!“ Mit einem Mal wird sein Lächeln richtig breit und
zeigt zwei Reihen erschreckend perfekter Zähne.
„Ja, genau. Ich
springe heute für einen Kollegen ein. Magen-Darm-Grippe – üble Geschichte! Und
wie meistens etwas überraschend, daher das Chaos. Ich hatte kaum Zeit, mich
über Herrn Egger zu informieren.“
„Sie kennen also
keines seiner Bücher?“
„Ehrlich gesagt:
nein. Und wissen Sie was? Ich habe nach der Lesung sogar noch ein Interview mit
ihm, das mein Kollege bereits vor Wochen arrangiert hat. Ich hoffe bloß, ich
blamiere mich nicht total! – Aber immerhin habe ich vorhin noch eine Leseprobe
seines letzten Buches durchgehen können“, füge ich schnell hinzu, als ich den
skeptischen Blick meines Gegenübers sehe. So dilettantisch ich Totallokal finde, ist es ja doch mein Heimatsender. Und tatsächlich, der Blick meines
Kavaliers entspannt sich und nimmt wieder den gleichen leicht spöttischen
Gesichtsausdruck an wie zuvor.
„Und wie ist Ihr
vorläufiger Eindruck von Herrn Egger?“ Bei diesen Worten reicht er mir mit
einem leichten Stirnrunzeln die aufgesammelten Ausdrucke, deren oberster den
Aufmacher: Herbststurm im Wasserglas – die neueste Banalität von Martin
Egger trägt.
Hastig reiße ich
die Schlagzeilen an mich und blicke mich verlegen um. Ich habe wirklich keine
Lust, wegen Verdachts der Ketzerei vom Fan-Mob gelyncht zu werden. Und das nur,
weil ich aus beruflichen Gründen auch kritischen Stimmen Gehör schenke.
„Nun, das ist
sicherlich nicht ganz einfach zu sagen, da ich bisher kaum etwas von ihm
kenne“, beginne ich diplomatisch. „Aber bislang hat mir der Herbststurm doch großen Spaß gemacht. Ich finde, dieser Herr Egger hat einen unerwartet
unkomplizierten und dabei doch anspruchsvollen Schreibstil. Es macht
schlichtweg Spaß, ihn zu lesen. Und ehrlich gesagt vermisse ich genau das bei
vielen zeitgenössischen Büchern. - - -“ Ehe ich gänzlich in die Gefilde
abendländischer Literaturkritik abdrifte, breche ich abrupt ab. Das gehört dann
doch nicht hierher.
Aber der Blick
meines Kollegen ist schlagartig aufmerksamer geworden. Wie er mich so
betrachtet, wirkt es fast, als könnte seinen grauen Augen nicht das Geringste entgehen.
Als würde er sämtliche Eindrücke, den Raum, darinnen ich und alles, was ich
sage, restlos aufsaugen.
Ich fühle mich
etwas unwohl und versuche, die Situation zu entspannen. „Übrigens…“,
vertraulich neige ich mich vor, „haben Sie diesen Herrn Egger schon einmal
gesehen? Scheint ja ein echter Weiberheld zu sein. Ich meine, gucken Sie sich
mal um: Das reinste Frauenhaus! Liegt das nur an seinen Büchern, oder kann der
auch optisch was?“
Jetzt muss mein
Herr Kollege doch laut auflachen, was mich zuerst erleichtert, dann aber
irgendwann auch wieder befremdet, denn er hört gar nicht mehr auf. Sein ganzer
Körper wird durchgeschüttelt, seine perfekten Zähne blitzen im diskreten Licht
des Zuschauerraums, und ich kann nicht umhin festzustellen, dass
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