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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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doch immerhin äußerlich. Es war heute
aber auch wie verhext! Ich hatte nicht mal Zeit, mir die Infos zu Herrn Egger
selbst zusammen zu suchen, sondern musste Svens Praktikantin damit beauftragen.
    Während sich der
Hartschalensitz unter meinem Hintern langsam erwärmt, rupfe ich hektisch einen
Stoß Papier aus meiner Tasche, um auf den allerletzten Drücker ein paar Fakten
in mein Hirn zu prügeln. Zeitungskritiken, Interviews, Kurzbiografien – die
Neue hat an alles gedacht. Nur ein aktuelles Foto vermisse ich. Aber ich denke,
ich werde mich auch so zurechtfinden. Zumal ich bei Autoren eigentlich im
seltensten Fall wissen will, wie der Mensch hinter den Buchstaben aussieht.
Reine Erfahrungssache. Bisher musste ich allzu oft erleben, dass gerade jene
Schriftsteller, die einen wundervollen Stil haben, optisch eher eine
Enttäuschung sind – zumindest, wenn man so abgehobene Ansprüche hat wie ich.
Vielleicht liegt es daran, dass ich in erster Linie durch die Bravo und
ihre Star-Schnitte sozialisiert wurde, aber ich bin treue Verfechterin eines
makellosen Idolkults. Das ist unsachlich, zugegeben. Doch das Auge liest stets
mit, und bei Herrn Egger werde ich wohl nicht drum herum kommen, der Wahrheit
ins Angesicht zu blicken. Immerhin habe ich von ihm bislang noch nichts gelesen
und daher auch keine großen Erwartungen. Wer ist der Typ? Vielleicht kann Wikipedia ja etwas Licht ins Dunkel bringen… Hmm….
    Siebenundvierzig
Jahre alt, Sternzeichen Stier – nun, das ist ja wohl egal! –, Studium und
Doktor in Psychologie, Lehre an verschiedenen Universitäten in Deutschland und
den USA, daneben kleinere schriftstellerische Arbeiten, bis er vor sieben
Jahren seinen ersten Roman vorgelegt hat. Bislang erschienene Bücher: C.G.
Jungs Archetypenlehre und ihre Aktualität im Hinblick auf moderne
Beziehungsstrukturen (1991), Talking Souls – Psycholinguistik von ihren
Anfängen bis zur Gegenwart (1998), Frühlingsgefühl (2003), Sommersonnenwende (2007) und Herbststurm (2010).  Dazu kommen zahllose Zeitschriftenbeiträge,
deren intellektueller Anspruch von Psychologie heute bis Bild der
Frau nahezu alles abdeckt. Scheint ein Chamäleon zu sein, dieser Herr
Egger! 
    Ich blättere weiter und halte schließlich eine Leseprobe von Herbststurm in den Händen, die der Verlag uns als pdf zur Verfügung gestellt hat. Für den
Rest der Fahrt vertiefe ich mich in die ungefähr zehn Seiten
Beziehungstragikomödie – und bin begeistert! Wer hätte gedacht, dass meine Arbeit
auch mal Spaß machen kann?! Es sieht nicht gut aus für das gute Aussehen von
Herrn Egger… Mehrmals muss ich laut auflachen und verpasse beinahe die
Haltestelle.
    Als ich den Buchladen betrete,
fällt mein Blick zuallererst auf die Ankündigung des heutigen Abends – und auf
die Uhrzeit. Schön, wenn Kollegen einem so sehr vertrauen, dass sie einen stets
eine halbe Stunde früher zu Terminen schicken!
    Halb ärgerlich,
halb froh über die gewonnene Zeit, verziehe ich mich in eine Ecke, um noch ein
paar Kritiken hervorzukramen und meinen eigenen Eindruck mit dem des Feuilletons
zu vergleichen. Allerdings ist um mich herum ein solches Gewusel, dass ich mich
kaum konzentrieren kann. Das ist ja wie im Hühnerstall! Empört schaue ich auf –
und mir bleibt vor Staunen der Mund offen stehen. Nur Frauen. Nur Frauen! In allen Altersklassen, in allen Dresscodes stehen sie herum, einen Prosecco
oder wahlweise O-Saft in der Hand, und schnattern und gackern, was das Zeug
hält. Das reinste Wimmelbild.
    Konzentriert
verenge ich meine Augen und starte ein Suchspiel: In unserem Bild haben sich
drei (männliche) Fehler versteckt – schaffst du es, sie zu finden?
    Nummer eins
mache ich nach einer halben Minute aus. Es ist ein Mitarbeiter des Buchladens,
der sich hinter dem Verkaufstresen verschanzt hat und vorab ein paar Herbststürme unter das weibliche Volk bringt. Nummer zwei hält die Hand einer
proseccotrinkenden jungen Dame und liest etwas gelangweilt die Titel im Sci-Fi-Regal
hinter sich, und Nummer drei hat sich am anderen Ende des Raumes ebenso wie ich
einen stillen Winkel gesucht, aus dem heraus er das ganze Spektakel sicher
beobachtet. Anhand der vielen Notizen unter seinem Arm erkenne ich ihn als
einen Kollegen und lächele ihm freundlich zu. Armer Kerl! Wenn Sven da wäre,
hätte er wenigstens moralische Unterstützung.
    Der Herr Kollege
grinst spöttisch zurück und hebt fragend die Augenbrauen, während er mit einem
Kopfnicken zur Prosecco-Theke deutet.
    O

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