Liebe 2.0
dem Dirndl aus? Stimmt es,
dass sich deutsche Frauen weiterhin zieren, ihre Bikinizone zu wachsen? – Mal
ehrlich, dieser Hang zur Natürlichkeit ist doch abartig! Da gibt es Einiges
aufzuarbeiten…“ Er zwinkert mir frech zu.
„Was???“, fragt
meine Mutter, und hebt vorsorglich die Hände erneut in Claras Richtung.
„Bitteschön“,
entgegne ich. „Ich weiß ja nicht, mit was für Urweibchen du dich so
triffst, aber ich für meinen Teil trage nur auf dem Kopf Naturkrause!“
„Julia!!!“, ruft
meine Mutter schrill. Doch während jetzt auch Tristan demonstrativ sein Besteck
zusammenlegt, als sei ihm mit meiner letzten Äußerung jedweder Appetit
vergangen, weiß ich gar nicht, worum hier so ein Aufheben gemacht wird. Als
Papa noch rund um die Uhr im Krankenhaus gearbeitet hat, liefen die Tischgespräche
kaum gesitteter ab: Da gab es Spaghetti Bolognese inklusive der plastischen
Schilderung einer Blinddarm-OP. Wir sind also abgehärtet. Probleme gibt es nur,
wenn mal Besuch kommt. Schon so manch einer ist an der mittäglichen Ekelprüfung
im Hause Wagner gescheitert – nicht aber Jonas. „Wissen Sie“, sagte er nach
Papas Ausführungen zu einem künstlich gelegten Darmausgang, „bei uns ist
letztens eine Nylonstrumpfhose meiner Mutter verschwunden, einfach so. Und was
soll ich Ihnen sagen: Als ich gestern mit meinem Hund spazieren war, tauchte
sie plötzlich wieder auf. Erst nur ein Zipfel, dann kam der Rest. Sie war immer
noch in einem Stück, nur etwas schmutzig, versteht sich. Aber das ließ sich
wohl nicht vermeiden.“ Daraufhin schob er sich ungerührt einen gehäuften Löffel
Bohneneintopf in den Mund – und war in unserer Familie aufgenommen.
„Mama, was ist
eine Bikinizone?“, kommt es da von Clara, und meine Mutter verdreht die Augen.
„Na herzlichen
Glückwunsch !“, zischt sie uns zu, und wendet sich dann sofort wieder ihrem
Kücken zu. „Eine Bikinizone, mein Schatz? Das ist, also, ähhh… hast du schon
mal vom Bikini-Atoll gehört? Das liegt im Pazifik… und weil es da immer so heiß
ist, darf man da nur im Bikini rumlaufen… Ja, genau! Das ganze Atoll ist eine
reine Bikinizone …“
O Mann! Jetzt
weiß ich, von wem ich mein mangelndes Flunkertalent habe! Warum erzählt sie
Clara nicht gleich einen vom Waschbären?
Auch Mama
scheint von ihrer Geschichte nicht sonderlich überzeugt und wendet sich nervös
an uns. „Wenn wir jetzt bitte das Thema wechseln könnten!“
„Finde ich
auch“, schließe ich mich an. „Zumal ich doch weg will vom Radio.“
Meine Mutter
zieht nachdenklich ihre Stirn in Falten. Aus Sorge um das Niveau des Abends und
meinen zukünftigen Job will sie etwas Ruhe in unsere Diskussion bringen und
sucht allen Ernstes nach Alternativen.
„Wie wäre es mit
einer eigenen Zeitung?“, fragt sie schließlich. „Du könntest ein Magazin über
deutsche Lebensart herausgeben. Mit Interviews von Lena und Tokio
Hotel , selbst übersetzten Gedichten von Clemens Brentano zum Ausschneiden
und Sammeln, typisch deutschen Kochrezepten wie Eisbein mit Sauerkraut…“
„Au ja, eine
hervorragende Idee!“ Tristan haut sich vor Begeisterung auf die Schenkel.
„Deutsche Küche à la Julia: Man nehme 10-Minuten-Reis und lasse ihn eine
Viertelstunde lang garen!“
Während meine
Mutter nun doch seufzend kapituliert, bin ich gekränkt. „Das ist Verleumdung!
So schlecht koche ich auch wieder nicht!“
„Das stimmt!“,
schaltet sich Clara treuherzig ein. „Julias Mikrowellenpopcorn schmeckt ganz
toll!“
Jetzt muss sogar
mein Vater lachen. Und weil er seinen Teller mittlerweile leer gelöffelt hat,
hat er auch genügend Zeit dazu und hört gar nicht mehr auf.
Dreiundzwanzig
Während ich mich bettfertig mache,
denke ich noch einmal über die Worte meiner Eltern nach. Auch wenn ich mich von
meiner Offensiv-Taktik nicht habe abbringen lassen, so war (und bin) ich doch
schockiert, wie sehr meine Eltern die Sache mit Jonas mitgenommen hat. Dabei
liegt der Gedanke eigentlich nicht allzu fern – vorausgesetzt, man verlässt
wenigstens für fünf Minuten den eigenen egozentrischen Kosmos und versetzt sich
in die Lage seiner geliebten Mitmenschen. Merke: Unbedingt an Sozialkompetenz
arbeiten!
Sobald ich die Tür meines Zimmers hinter mir zugezogen habe, sprinte ich
hinüber zu meinem Bett, um schleunigst die Augen schließen zu können. Aber die Geister
sind mal wieder schneller. Kaum habe ich das Licht gelöscht, geraten die
schwarzen
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