Liebe 2.0
hoffen,
dass das alles irgendwann in Vergessenheit gerät…“
Das war’s.
Während mein Vater ihr hilflos über den Rücken streichelt, sackt Mama
schluchzend in sich zusammen. Doch auch wenn von Mr. Hyde nur noch ein Häufchen
Elend übrig ist, merke ich, wie ich vor Zorn ganz weiß im Gesicht werde. Hier
geht es gar nicht um mich. Es geht um sie ! Um ihren Traum, den ich zum Platzen gebracht habe. Es reicht! Matt und zerschlagen von der
monatelangen Belagerung, rafft sich nun auch meine Mannschaft auf für ein
letztes Gefecht.
„Es sollte mein schönster Tag werden!!!!“, brülle ich in einer Lautstärke, als ob sich meine
Mutter nicht am anderen Ende des Tisches, sondern am anderen Ende der Stadt
befände. „Und auch wenn es mir scheißegal ist, was das halbe Dorf über
mich denkt oder nicht denkt, so haben wir – jawohl, wir , Jonas und ich! – hier gar nichts einfach abgesagt!“
Denkt sie etwa
allen Ernstes, sie sei die Leidtragende? Denkt sie, sie sei die Einzige,
der an diesem Tag, an diesem Leben etwas gelegen hat? Es ist wohl oder übel an
der Zeit, Einiges klarzustellen.
„Meint ihr vielleicht, ich sei glücklich darüber, wie sich die
Dinge entwickelt haben? Meint ihr, ich sei mit meiner jetzigen Situation
zufrieden? Ohne jemanden an meiner Seite, der für mich da ist, egal wie
großartig oder beschissen es mir gerade geht? Dafür aber mit einem Job, der
mich einerseits total unterfordert und andererseits so fertig macht, dass ich
jeden Tag kotzen könnte?!“ Wie ein Schlosshund fange ich an zu heulen, schon
wieder. Was ist in letzter Zeit nur los mit mir? „ Natürlich habe ich mir
das alles anders vorgestellt! Vor einem Jahr dachte ich, ich sei zu diesem
Zeitpunkt verheiratet und würde mit Jonas endlich das Leben leben, von dem wir
die ganzen Jahre über geträumt haben. Ich dachte, ich würde an meinem Buch
schreiben und vielleicht sogar schwanger sein. Aber das Leben ist nun mal kein
Roman! Hier laufen die Dinge anders – leider! Es tut mir leid, euch enttäuscht
zu haben…“ Ich ziehe geräuschvoll die Nase hoch, weil meine gesamte Familie
mich paralysiert anstarrt, statt mir mal ein Taschentuch zu reichen, „… aber
ehrlich gesagt habe ich mehr Probleme damit, mein Versagen vor mir selber zu
rechtfertigen, als vor euch, euren Freunden oder irgendeinem verdammten
Tortenbäcker!!!“ Das Letzte kreische ich regelrecht heraus, so weit es meine
verschleimten Stimmbänder zulassen. Dann stehe ich auf und gehe in die Küche
zur Mikrowelle, wo meine Mutter seit Jahren die Gratis-Taschentücher aus der
Apotheke hortet. Ich sage ja, als Single musst du allein für dich sorgen.
Als ich zurückkomme, sehe ich, wie
meine Mutter meinem Vater etwas zumurmelt und abrupt verstummt. Ihr
vorwurfsvoller Blick hat sich nicht geändert, während es jetzt an meinem Vater
ist, als Parlamentär die Wogen zu glätten.
„Aber Julia,
siehst du, es ist immer das Gleiche. Ich meine, du kommst hierher, und es ist
offensichtlich, dass dich etwas bedrückt. Aber du machst nie den Mund auf.
Damals nicht, und heute auch nicht. Du willst deine Ruhe – okay, das
akzeptieren wir. Und wir sind glücklich und auch stolz, dass du sie anscheinend
hier bei uns finden kannst. Aber du musst uns auch etwas zurückgeben. Das ist
keine Einbahnstraße, mein Fräulein!“ Er schüttelt nachdrücklich sein weißes
Haupt. „Immer lässt du uns außen vor – das ist nicht fair. Wenn du Probleme mit
dir herumschleppst, dann rede mit uns darüber!“
„Als ob das
helfen würde!“, schnaube ich in mein Taschentuch.
„Nun, es würde
sicherlich mehr helfen, als alles in sich hineinzufressen und stattdessen
jedwede echte Nahrung zu verweigern!“ Jetzt wird auch mein Vater laut. „Wir
hatten das schon mal, Julia, und ich bin nicht gewillt, noch einmal tatenlos
zuzusehen, wie meine Tochter sich fast zu Tode hungert! Deine Mutter hat
gesagt, dass du gestern kaum etwas gegessen hast, und heute stocherst du auch
schon wieder nur auf deinem Teller rum!“
„Verdammt noch
mal! Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun!“, rufe ich genervt. „Gestern
war mir von der Busfahrt übel. Und dass unser abendlicher Plausch nicht dazu
angehalten ist, den Appetit zu steigern, dürfte wohl auch einleuchtend sein!“
Mit einem Mal wünsche ich mir, sie würden wieder zu ihren eigenen Problemen
zurückkehren, statt alte Wunden aufzureißen.
„Julia hat Recht.
Wir sollten die Sache nicht komplizierter machen, als sie ohnehin
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