Liebe 2.0
klein. Rein statistisch betrachtet.“
Der Herr
Mathematiker, typisch. Ich muss leise lächeln. Schön, dass sich für Tristan das
Leben in Formeln erklären lässt. Aber mir reicht das leider nicht als Antwort.
Und als wüsste er, dass ich mich von rechnerischer Empirie nicht sonderlich
beeindrucken lasse, wechselt Tristan jetzt auf die philosophische Schiene.
„Ich könnte
natürlich sagen, dass ihr euch einfach zu früh kennen gelernt habt. So nach dem
Motto: Die erste Liebe heiratet man sowieso nicht. Aber wer weiß? Vielleicht
wärt ihr zu einem späteren Zeitpunkt gar nicht mehr zusammengekommen, weil ihr
euch so oder so zu unterschiedlich entwickelt habt. Wäre das etwa besser?“
Damit wären wir
wieder beim Nullsummenspiel des Universums angelangt. Ich zucke mit den
Schultern. „Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich habe in letzter Zeit viel
über uns nachgedacht. Aber die wenigen Ergebnisse, zu denen ich komme, sind
allesamt denkbar unbefriedigend.“
„Und deshalb
gibst du diesem Typen keine Chance?“
Ich bleibe hart.
„Welchem Typen?“
„Julia!!!“
„Okay, okay, es
gibt da jemanden, mit dem ich mich ein paar Mal getroffen habe. Nichts Ernstes.
Und es ist auch schon wieder vorbei.“
„Warum?“
Da haben wir
sie, die Gretchenfrage.
Ich hole tief
Luft. „Weil… wir ganz unterschiedliche Dinge vom Leben wollen.“
Platt, Julia.
Sehr platt! Ich glaube kaum, dass Tristan das schluckt. Und habe leider, wie so
oft, Recht.
„Woher willst du
das wissen? Hast du ihn gefragt? Was will er denn vom Leben? Oder anders
gefragt: Was willst du vom Leben?“
Ich will
möglichst keine weiteren Komplikationen. Aber das sage ich nicht laut.
Stattdessen weiche ich auf den meiner Meinung nach nächstliegenden Allgemeinplatz
aus. „Er ist eh viel zu jung für mich.“
Tristan wird
hellhörig. „Wie alt ist er denn?“
Wir kommen an
eine Gabelung und schlagen den Weg Richtung Weiher ein, den Clara in ihrem
jugendlichen Überschwang schon vorgerannt ist.
„In etwa so alt
wie du.“
„So alt wie… –
also Julia, ehrlich! Bei deiner Ankündigung dachte ich, du hättest einen
Minderjährigen verführt! Herrgott, die fünf Jahre!“ Tristan schüttelt lachend
den Kopf.
„So einfach ist
das nicht!“ Ich schüttele ebenfalls den Kopf. „Mit Anfang zwanzig stehst du dem
Leben anders gegenüber als Ende zwanzig. Naiver. Unberührter. Offen.“
„Ach ja? Nun,
ich sehe keinen Grund, warum man das Leben mit Ende zwanzig anders betrachten
sollte“, entgegnet Tristan unbeeindruckt. „Oder glaubst du wirklich, du hast
schon alles erlebt und kannst dich als Yoda im Altersheim anmelden? Du magst vielleicht
nicht ganz dumm sein, aber die Weisheit mit Löffeln gefressen hast du auch
nicht.“
„Junger
Skywalker ganz schön frech sein!“, tadele ich, doch insgeheim muss ich Tristan zustimmen.
Zwar fühle ich mich zurzeit älter und verbrauchter als so manche
Achtzigjährige, aber im Gegensatz zu ihr habe ich rein gar nichts aus meinem
Leben gelernt. Da kam ich mir ja nach dem Abitur klüger vor! Damals dachte ich
ernsthaft, den totalen Durchblick zu haben, von wegen Reifeprüfung und so. Im
Nachhinein hat sich das Ganze jedoch als äußerst kurzsichtige Betrachtungsweise
herausgestellt… Spontan muss ich an Martin Egger denken, gegen dessen
Lebenserfahrung ich einpacken kann. Und dabei wäre ich lieber heute als morgen
dort, wo er jetzt steht.
Ich seufze, was
Tristan wohl als Zugeständnis nimmt, denn er nickt zufrieden.
„Siehst du – was
soll’s? Mach mal aus einer Mücke keinen Elefanten. Es ist ja nicht so, dass
euch zwanzig Jahre trennen.“ Ich zucke leicht zusammen. „Und ich bin doch auch
schon recht verständig, oder meinst du nicht?“
Als ich seinen
herausfordernden Blick sehe, kommt es mir für einen Augenblick vor, als würde
Max vor mir stehen. Die großen Jungs rotten sich zusammen. Ich muss lachen. „Ja,
sicher, du bist ein sehr kluger und anständiger Kerl. Du weißt, wie man mit
Messer und Gabel isst, sagst Bitte und Danke – was will Frau
mehr?“
Tristan boxt
mich in die Seite. „Du blöde Kuh!“
„Oooo, ja, sehr erwachsen!“ Ich lache noch mehr und boxe zurück. Kindergarten,
echt!
Wir balgen uns eine zeitlang durchs
Unterholz, springen über den „Trimm dich“-Pfad, der entlang der Wanderstrecke
mit Hindernissen und Reckstangen gebaut ist, und veranstalten schließlich auf
den letzten Metern ein Wettrennen. Als ich keine Sekunde nach Tristan an der
Bank am
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