Liebe 2.0
unserem
Lieblingsplatz am Badesee, und alles schien perfekt: Ohne Vielleichts,
Konjunktive oder Verneinungspartikel. Geht nicht gibt’s nicht. Impossible
is nothing . Wir machen den Weg frei. Das Leben glich einer langen
Kette griffiger Werbeslogans, und wir ließen uns verlocken. Wir dachten, die
Welt stünde uns offen. Und wahrscheinlich war es auch so. Nur wir selbst hatten
uns ihr mehr und mehr verschlossen.
Dieser Moment der Wahrheit vor
sieben Monaten – er fühlt sich noch immer scheußlich an. Dabei ist es gar nicht
mal der wehmütige Gedanke an unsere letzten schönen Tage, der so schmerzt.
Sondern der Umstand, dass ich mich nicht erinnern kann, wann diese schönen Tage
geendet haben. Zu welchem Zeitpunkt Jonas und ich uns wirklich verloren haben.
Stirnrunzelnd
schüttele ich den Kopf. Wie konnte es soweit kommen? Reichte es nicht aus, sich
einfach zu trennen? Mussten Jonas und ich auch noch eine Beinahe-Scheidung
daraus machen? Diese Absage in letzter Minute – fast schien es so, als wollten
wir ein bisschen von dem Drama nachholen, das unserer Beziehung die letzten
zwölf Jahre lang gefehlt hatte. Aber auch wenn es nach außen hin einen mehr
oder weniger großen Skandal gab, so fühlten wir selbst uns doch kaum davon
berührt. Für uns war es keine Tragödie. Vielmehr Absurdes Theater .
Vierundzwanzig
In dieser
Nacht schlafe ich erwartungsgemäß schlecht bis gar nicht, und als ich aufstehe,
schicke ich ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, dass ich nicht so aussehe, wie ich
mich fühle. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass Gott für solche
Spielereien keine Zeit hat. Wenn sich heute einer über meinen körperlichen
Zustand beschwert, kann ich ihm leider nicht widersprechen.
Nach dem Frühstück machen Tristan
und ich uns auf, um ein wenig von der guten Landluft zu schnappen. Wir haben
einiges zu bereden, denn zum einen sehen wir uns nur noch selten, und zum
anderen ist mein kleiner Bruder kein großer Telefonierer. Und ich will doch
alles über seinen geplanten Kanada-Aufenthalt erfahren! Wo er wohnen wird, wie
seine Arbeit aussieht, ob er, Hand aufs Herz, wirklich vorhat, in einem Jahr
wieder zu kommen… Obwohl wir Clara vorgewarnt haben, dass es für sie
sterbenslangweilig wird, lässt sie sich partout nicht abschütteln, und so
nehmen wir sie halt mit.
Wir fahren in
ein nahe gelegenes Waldgebiet, zu dem wir als Grundschulkinder in aller
Regelmäßigkeit gekarrt wurden, um Schnitzeljagd mit Naturkunde und
anschließendem Würstchengrillen zu veranstalten. Als wir aussteigen und die
ersten Schritte gehen, ist es sofort wieder da, dieses Gefühl von Frische und
Freiheit, das sich in klaren Luftströmen durch sämtliche meiner Lungenbläschen
frisst. Der Weg ist übersät mit buntem Laub – mehr oder weniger das einzige
diskrete Anzeichen, dass das Jahr irgendwie doch vergeht –, aber wir achten
eigentlich kaum auf unsere Umgebung oder die darin herumhopsende Clara.
Vielmehr ist jeder in seine eigene Welt vertieft, und gerade, als ich einen
meiner Gedanken gepackt und spruchreif gefasst habe, kommt Tristan mir zuvor. „Also:
Wie heißt er?“
„Bitte – WAS?“
Ich bleibe einen Augenblick verdattert stehen.
„Wie er heißt.“
Tristan läuft unbeirrt weiter. „Komm schon, Julia. Ich weiß, du hast eine Menge
um die Ohren. Immerhin bist du jetzt zum ersten Mal in deinem Leben völlig auf
dich allein gestellt. Und dazu der ganze Frust mit dem Sender und die
Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Aber das ist es nicht. Nicht nur. Ich
kenne dich. Du bist stark. Beziehungsweise du warst stark. Was ist passiert?“
Ich gucke auf
meine Füße, um nicht plötzlich über eine Wurzel zu stolpern, während ich nach
einer passenden Antwort suche.
„Nun, wie Mama
gesagt hat: Julia und ihr Romeo haben sich getrennt.“ Ich ziehe eine Grimasse.
„Und die Welt hat eines ihrer Grundgesetze verloren.“ Verbittert blicke ich
geradeaus und höre, wie Tristan leise schnaubt.
„Das hat sie
nicht, Julia, und das weißt du auch. Jonas und du, ihr wart euch einig. Ihr
hattet eine schöne Zeit. Aber die war leider irgendwann vorbei. Und ehrlich
gesagt ist das doch auch nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, zu was für
einem Zeitpunkt ihr euch kennen gelernt habt. Ich meine, ihr habt in all den
Jahren eine gewaltige Entwicklung durchgemacht. Ihr seid erwachsen geworden! Zu
zweit – aber auch jeder für sich. Die Chance, danach noch immer auf einer
Wellenlänge zu sein, ist denkbar
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