Liebe 2.0
Menschen. Wie ich das hasse…
Vorsichtig
schiebe ich mich an den wild debattierenden Jacob-Edward-Lagern vorbei in eine
verhältnismäßig ruhige Ecke und verschaffe mir von hier aus einen Überblick.
Und entdecke plötzlich ein sehr vertrautes Gesicht. Gerade will ich mich
instinktiv wegducken, da hat Max mich auch schon gesehen. Er lächelt mich über
die Köpfe der anderen hinweg an, und während mein Körper noch hektisch
überlegt, welches Hormon er nun am besten ausschütten soll – Adrenalin,
Dopamin… oder gar Insulin? – entscheidet sich mein Mund, das Lächeln zu
erwidern. Mit dem Ergebnis, dass Max zu mir herüber kommt.
„Hallo Schöne.“
Seine selbstbewusste Tonlage ist ganz die alte, nur die in den Taschen
vergrabenen Hände verraten eine gewisse Unsicherheit.
„Hallo
Schönling“, überspiele ich meine eigene Beklommenheit und hoffe, möglichst selbstsicher
zu erscheinen. „Was macht das Leben nach dem Radio?“
Max lehnt sich
an den nebenstehenden Pfeiler, als wolle er sich für die nächsten Minuten
bequem einrichten. „Na ja, seit das Semester wieder begonnen hat, komme ich
tagsüber eigentlich kaum dazu, Totallokal groß hinterher zu trauern.
Nachts hingegen weine ich mich nicht selten in den Schlaf.“
Er zieht ein
lustiges Gesicht, und wir müssen beide lachen. Dann aber schaue ich ihm in die
Augen und erkenne, dass irgendetwas in ihnen nicht mitlacht. Ich frage mich, ob
er das Gleiche bei mir beobachten kann. Ob wir vielleicht auf einer
zusätzlichen Ebene miteinander reden (ich meine so richtig reden!),
während unsere Münder einfach vor sich hinplappern. Wie bei einer
Geheimsprache, die so geheim ist, dass nicht einmal wir selbst wissen, dass wir
sie beherrschen.
Max’ Blick wird
noch eine Spur intensiver, als er erneut den Mund aufmacht. „Woran denken Sie?“
Woran denken
Sie . Schon wieder diese Frage! Seine Frage. Eigentlich schon unsere Frage.
Eine Frage, die größte Intimität einfordert – nämlich Einsicht in mein
verworrenes Hirn – und dabei doch gleichzeitig in ihrer spielerischen
Höflichkeit ausdrückt, wie viel Distanz trotz all dem Gewesenen noch zwischen
uns liegt. Und ehe wir diese Distanz nicht überbrücken können, scheint mir jede
Spekulation um das Vorhandensein einer Geheimsprache müßig.
Ich schweige und
blicke unbehaglich zu Boden. Max wartet ein Weilchen. Dann seufzt er. In die
Massen um uns herum kommt wieder Bewegung, und nach und nach strömen die
Zuschauer zurück in den Saal. Nur wir beide bleiben wie angewurzelt stehen,
Protagonisten unseres eigenen Films, doch leider ohne Drehbuch und ohne
Regieanweisung.
Schließlich
ergreift Max wieder das Wort. Improvisationstheater. „Auch auf die Gefahr hin,
dich wieder zu vertreiben: Du fehlst mir!“
Ich kann nicht
genau beschreiben, was diese Aussage in mir auslöst. Es ist wie ein Schmerz,
ein feines Ziehen, das quer von meiner Brust in meinen Magen verläuft. Würde es
nicht mit Max zu tun haben, ich würde wollen, dass es weggeht. So aber ist es
vielleicht das Einzige, das ich ihm gegenüber überhaupt fühlen kann. Sag was.
Sag was! „Was machst du überhaupt hier?“
Statt von meinem
plumpen Ablenkungsmanöver gekränkt zu sein, verzieht Max sein Gesicht zu einem
neuen Lächeln, während er nach einer Antwort sucht. „Och, weißt du… Ich ging so
mir nichts, dir nichts durch den Park spazieren, als auf einmal ein kleiner
Waschbär auf mich zukam. Der hatte ein Ticket für diese Kino-Nacht in seiner
kleinen Pfote, und auch wenn ich alles andere als ein Twilight -Fan bin,
so glaube ich doch an Schicksal, wie du weißt.“ Er zwinkert. „Und da habe ich
mich artig bei dem Waschbären bedankt und bin hergekommen.“
Während Max
munter vor sich hin fabuliert, bin ich zur Salzsäule erstarrt. Die
Waschbär-Geschichte. Meine Waschbär-Geschichte. Die offenbar auch seine
Waschbär-Geschichte ist. Aber kann aus meiner Geschichte und seiner Geschichte
so einfach unsere Geschichte werden?
Mir wird
schwindelig. Schon wieder dieses ungewohnte, Furcht einflößende uns …
Obwohl Max sich keinen Millimeter weiter vor bewegt hat, ist da plötzlich eine
ganz neue Nähe, die mich umklammert und mir die Luft abschnürt. Das Ziehen in
meinem Bauch verstärkt sich, und langsam hat mein Magen die Faxen dicke. Er
will den Schmerz loswerden, koste es, was es wolle. Und so fängt er an zu
pumpen, und ich merke förmlich, wie die Übelkeit in mir aufsteigt. Der saure
Prosecco beginnt in mir zu
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