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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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Hollow wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut.
     
     
     
     
     

IV
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     

Dreiunddreißig
    Ich liebe den Winter! Die Luft ist
erfüllt von Vorfreude und Plätzchenduft, an allen Ecken gibt es kandierte
Leckereien zu kaufen, und als sei dies noch nicht herrlich genug, sieht der am
Boden festgetretene Schnee mit seinem Muster aus schwarzem Streugranulat aus
wie Straciatella-Eis… ein wahres Schlaraffenland! Selbst eine Kostverächterin
wie ich muss zugeben, dass der Advent die beste Jahreszeit ist, um sich seinen
Weg zurück ins Leben zu essen. Wie im Märchen vom verhexten Brei.
    Weil das Loch in
meinem Magen jedoch leider nicht die einzige Lücke in meinem Leben ist,
beschließe ich nach langem Hin und Her, endlich wieder einen Mann in meine
Wohnung zu lassen. Eine gute Entscheidung! Als Tristan an meiner Tür klingelt,
falle ich ihm in die Arme, als käme er von einer Weltreise. (Was dank der
öffentlichen Verkehrsmittel ja auch fast zutrifft, zumindest vom Zeitaufwand
her. Ich denke nicht, dass Tristans Flug über den Atlantik wesentlich länger
dauern wird als eine Fahrt mit der Regionalbahn von Süd- nach Westdeutschland.)
    „Wie schön, dass
du da bist!“, rufe ich und hüpfe wie Rumpelstilzchen auf und ab. „Stell deine
Tasche einfach dort hin und lass alles andere an. Wir müssen sowieso noch
einkaufen.“
    Und schon machen Brüderchen und Schwesterchen sich auf den Weg.
    Im Supermarkt angekommen, schnappen
Tristan und ich uns einen Wagen und schlendern durch die Gänge. Mit einer
Mischung aus Faszination und Abscheu betrachte ich die überquellenden Regale
und komme mir dabei fast vor wie in einem Museum für abstrakte Kunst:
Pink-glasierte Kuchen, Kekse, die die Form von kleinen Kühen haben, Schokolade
mit Puddingfüllung… Ideen haben die Produktentwickler! Und wie verlockend das
alles knistert und glitzert! Ich will schon die Hand nach einem Zehnerpack
Erdbeerschnüre ausstrecken, ziehe sie aber dann zurück, als hätte ich mich
verbrannt. Was, wenn es eine Falle ist? Was, wenn sich der Boden unter mir
auftut und mich verschlingt, sobald ich einem Pappaufsteller mit Brausestäbchen
auch nur zu nahe komme? Längst vergessene Zahlenreihen tauchen vor meinem
inneren Auge auf. Sie stammen aus einer Zeit, in der ich Lebensmittel nur unter
der Ziffer ihrer Kalorienmenge kannte: 100 g Joghurt 69 kcal, der Becher 103
kcal. 100 ml O-Saft 43 kcal, das Glas 129 kcal. Mein Hirn war regelrecht
besessen von Kilojouleeinheiten, und während heutzutage auf fast jeder
Verpackung Portionsangaben zu lesen sind, habe ich damals alles noch im Kopf
ausgerechnet. Zuletzt konnte ich sämtliche Nährwertinformationen im Schlaf
hersagen, als wäre ich ein essgestörter Rain Man . Und ehrlich gesagt war
ich nie wieder so fit in Mathe wie zum Höhepunkt meiner Krankheit. Aber das war
auch der einzig positive Nebeneffekt. Von daher bin ich froh, jetzt meinen
unerschrockenen Bruder bei mir zu haben: Als ich sehe, mit welcher Begeisterung
Tristan durch den Laden läuft und zielsicher nach den ungesündesten Sachen
greift, lasse ich mich anstecken und überwinde meine Skepsis. Ran an den
Mäusespeck!
    Ich habe keine Ahnung, wann Tristan und ich das letzte Mal gemeinsam
einkaufen waren, aber es muss Jahrzehnte zurückliegen. Und als hätten wir etwas
nachzuholen, schmeißen wir jetzt alles in den Wagen, was uns irgendwie zusagt: Cornflakes,
Erdnussflips, Schokoladeneis, Hamburgerbrötchen, Kaugummi, Drehdrinks… Ein
Kindheitstraum wird wahr! Das ist einer der wenigen Vorteile, wenn man
erwachsen ist: Niemand verbietet dir, auch noch das dritte Paket Salzstangen
einzupacken. Und die leidigen „Aber das haben wir doch alles schon zu Hause“-Diskussionen
entfallen ebenfalls. Dafür muss man den ganzen Unfug jetzt allerdings selber
bezahlen, leider. Und man hat auch niemanden mehr, der einem Tee kocht und eine
Wärmflasche bringt, wenn man sich den Magen verdorben hat. Aber das Risiko sind
wir gewillt einzugehen. Leben am Abgrund – Rock ’n Roll. Yeah!
    Am späten Nachmittag gehen Tristan
und ich zum Weihnachtsmarkt, um nach dem profanen Lebensmitteleinkauf nun auch
noch christliche Konsumstimmung zu tanken – und den ein oder anderen Glühwein,
versteht sich. Dabei stellen wir schnell fest, dass wir nicht die Einzigen sind,
die auf Teufel komm raus in Vorweihnachtsstimmung kommen wollen: Wo man
hinsieht, essen und

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