Liebe 2.0
mehr zu sagen. Wenn selbst Astrid ihre Vorbehalte gegenüber jüngeren
Männern vergisst…
„Erde an Julia!“
Verzweifelt folgt Tristan meinem Blick, um herauszufinden, was seine Schwester
in Schockstarre versetzt haben mag. Dabei wird er jedoch kaum schlauer werden,
denn alles, was er sieht, ist eine Menschenmasse, in deren Mitte ein Mann und
eine Frau stehen, die wie wir Glühwein trinken und von Einkaufstüten umgeben
sind. Und von denen jetzt die Frau zu uns herüberblickt… O mein Gott! Von denen
die Frau jetzt zu uns herüberblickt!
Binnen
Sekundenschnelle läuft auch auf Astrids Gesicht ein ganzer Film ab –
Überraschung, Verlegenheit, Irritation –, ehe sie alles mit einem strahlenden
Lächeln überblendet. „Julia…!“
Soweit es das
Gedränge zulässt, läuft Astrid mit offenen Armen auf uns zu, während Max mit
Tüten beladen in zögerlichem Abstand folgt. Ich unterdrücke ein Schnauben. Ist
er etwa ihr Packesel oder was?
„Das ist ja eine
Überraschung!“, ruft Astrid übertrieben laut, obwohl wir uns mittlerweile
gegenüberstehen. „Was machst du denn hier?“
„Nun, das
Gleiche wollte ich euch auch gerade fragen.“ Meine Stimme krächzt verdächtig,
aber ich versuche, ähnlich gut zu bluffen wie Astrid, und grinse blöde.
„Och, wir sind
uns in der Woche zufällig über den Weg gelaufen und haben dann gedacht, wir
könnten uns doch gegenseitig beim Geschenke-Shoppen helfen.“
Zweifelnd hebe
ich eine Augenbraue. Ganz harmloses Einkaufen also… Und das soll ich ihr
wiederum abkaufen?
Auch Astrid
scheint ihre Geschichte erläuterungsbedürftig zu finden, zumal ihr
unverbindlicher Begleiter treudoof alle ihre Besorgungen schleppt. Und so zerrt
sie Max hastig fünf Tüten aus seiner linken Hand und streckt sie mir
triumphierend entgegen. Ich komme nicht umhin, Max dabei einen kurzen Blick
zuzuwerfen, und zucke unwillkürlich zusammen. Seine Gletscheraugen strahlen
eine Kälte aus, die mich trotz meines dicken Wintermantels erschaudern lässt – Batmans
Erzfeind Mr. Freeze ist nichts dagegen! Schnell wende ich mich wieder an
Astrid, die hektisch weiterplappert.
„Schließlich
rückt Weihnachten immer näher, und da will man doch bestens vorbereitet sein,
was?!“ Astrid kratzt sich nervös hinterm Ohr, und langsam schwant mir, dass
mein Problem weniger eine schlechte Phantasie sondern vielmehr eine gute
Intuition ist: Natürlich läuft da was zwischen den beiden! Ganz klar!
Was unklar ist, sind die Details. Und obwohl sich das Stechen in meiner Brust
nicht unwesentlich verstärkt, lechze ich nach mehr Infos. Masochistin, ich.
„Natürlich,
stimmt, Weihnachten steht vor der Tür. Da sollte man nichts dem Zufall
überlassen“, gehe ich zum Schein auf Astrids Small Talk ein. „Wer steht denn
alles auf deiner Geschenkeliste?“ Geschickt, Julia. Aber so was von geschickt!
Funkstille hin oder her – diese Frage ist dermaßen unverfänglich, dass Astrid
sie ohne Umschweife beantworten kann. Und tatsächlich legt sie dankbar los.
„Nun, da wären
meine Eltern, meine Schwester, meine Großeltern, meine Patentante, die
Nachbarin,…“ Es fallen zehn weitere Namen, doch Max ist nicht dabei.
Vielleicht, weil es zu offensichtlich ist? Oder beschenkt Astrid ihn mit
Naturalien – ein Strip zum Beispiel? O nein, schon wieder Kopfkino…! Schnell an
etwas anderes denken!
Mittlerweile ist
Astrid bei ihrem Facebook -Freundeskreis angekommen, und wenn das so
weitergeht, ist ihre Geschenkeliste länger als die vom Weihnachtsmann. Ich
schüttele leicht den Kopf und sehe rüber zu Tristan, der mir vergnügt
zuzwinkert. Er scheint das Gleiche zu denken wie ich – nämlich dass der
Konsumwahnsinn im Hause Wagner glücklicherweise vor zwei Jahren abgeschafft
wurde. Seitdem gibt es an Heiligabend nicht mehr als eine herzliche Umarmung,
und es herrscht endlich so eine Art echter Weihnachtsfriede.
Astrid hat
unseren verschwörerischen Blickwechsel bemerkt und unterbricht prompt ihre
Aufzählung. „Aber jetzt sag doch mal: Wer ist denn dein netter Begleiter?“
Täusche ich mich
oder klingt Astrid jetzt noch angespannter? Ihre Augen nehmen wieder diese „Natterlie“-Form
an, was einen gruseligen Kontrast zu ihrem Dauer-Lächeln darstellt.
„Ach so, ja,
entschuldigt bitte!“ Ich schüttele zerstreut den Kopf. „Astrid, Max – das ist
mein Bruder Tristan. Tristan, das sind Astrid und Max, erstere Leidensgenossin
bei Totallokal , letzterer glücklicher Ex-Praktikant.“
Ich kann
Weitere Kostenlose Bücher