Liebe 2.0
nur
hoffen, dass das anerkennende Pfeifen, das Tristan bei Max’ Vorstellung
ausgestoßen hat, nicht bis zu diesem vorgedrungen ist. Aus Furcht vor einer
neuen Kaltfront wage ich es jedoch gar nicht erst, Max noch einmal anzuschauen
und seine Reaktion zu checken. Stattdessen registriere ich nur mit leichtem
Befremden, wie Astrid Tristan mit einer Begeisterung begrüßt, als würde sie Brad
Pitt persönlich treffen.
„Toll, dass ich
dich mal kennen lerne! Ich hab’ gehört, du gehst nach Kanada? Ich war vor
Jahren als Au Pair in Quebec, und es hat mir irre gut gefallen! Und was machst
du da genau? Wie lange willst du bleiben? Weißt du schon, wo du wohnst?“
Kaum hat Astrid
ihr Interview gestartet, sind Max und ich auch schon abgemeldet. Wie zwei
Fremde, die im Theater zufällig nebeneinander sitzen, verfolgen wir die
nächsten zehn Minuten über, wie Astrid Tristan in die kanadischen Eigenheiten einweiht
und mit Insidertipps überhäuft. Die beiden verstehen sich offenbar blendend,
und in jeder anderen Situation würde ich anfangen zu feixen. Aber jetzt? Was
läuft da zwischen Astrid und Max?! Ich drehe mich im Kreis…
Irgendwann
scheint Astrid sich daran zu erinnern, dass sie bereits einen Mann im
Schlepptau hat, und wendet sich seufzend an ihren Begleiter. „Ach, das war eine
so tolle Zeit!“
Max lacht. „Ich
weiß! Du sagtest es bereits!“ Dabei klopft er ihr aufmunternd auf die Schulter.
„Aber ich glaube, du bist ein bisschen überdreht. Kanada und Glühwein vertragen
sich nicht. Vielleicht sollten wir etwas essen. – Was meint ihr?“
Ganz der fürsorgliche Kavalier. Ich versuche, die Eifersucht zu
ignorieren, die sich langsam aber sicher säureartig durch mein Inneres frisst.
Dann ist Max jetzt halt Astrids Beschützer, na und? Ich wollte es ja nicht
anders haben. Und wenn doch, so kann ich jetzt auch nichts mehr daran ändern.
Stattdessen sollte ich vielmehr zusehen, dass ich nicht selbst demnächst wieder
auf fremde Hilfe angewiesen bin. Und obwohl sich mein Magen vor Wut und
Verzweiflung in einem Schmollwinkel verstecken und sämtliche Fortschritte der
letzten Wochen fahrlässig in den Wind schießen will, zwinge ich ihn und mich
dazu, einen großen Reibekuchen zu essen – was für ein Krampf! Mit
Todesverachtung beiße ich mich durch den knusprigen Rand, tunke die matschige
Mitte ins noch matschigere Apfelmus, kaue, schlucke, würge… Während alle
anderen um mich herum vergnügt schmatzen, quengelt die Drama-Queen in mir ohne
Unterlass, wirft sich in Pose und will Beachtung für ihr Seelenleiden. Aber
wenn nicht einmal mehr ich ihr Aufmerksamkeit schenke, wer sollte es dann tun?
Und als mein Pappschälchen bis auf den letzten Klecks leer gegessen ist, wird
es in meinem Inneren wieder ruhiger. Ha! Niemand schmeißt mich so
einfach aus dem Schlaraffenland! Schon gar nicht ich selbst!
„Wen hast du
eigentlich beim Wichteln im Sender gezogen, Julia?“
Es ist Astrids
erste direkte Kontaktaufnahme seit ihrer Frage nach Tristan, und würde sie
dabei nicht wie selbstverständlich ein paar Pommes von Max’ Teller klauen,
könnte man meinen, es wäre alles wie immer. Da ich aber keine Kraft mehr habe,
das gegenseitige Belauern und Bespitzeln fortzuführen, versuche ich, mich mit
der neuen Normalität zu arrangieren, und verdrehe, als hätte ich momentan keine
anderen Sorgen, gespielt die Augen. „Dreimal darfst du raten… Sven!“
„Ahhhrgh!“
Astrid haut sich mit der flachen Hand vor die Stirn, und ich nicke düster. „Und,
schon eine Idee?“
„Nicht wirklich.
Ich meine, zuerst habe ich natürlich an das Nächstliegende gedacht: eine
Kollegen schonende Poliermaschine für sein Ego, ein One-Way-Ticket in den
Jemen…“ Mit halbem Ohr höre ich, wie Max leise auflacht, und dieses Geräusch
kitzelt bis in meine Zehen. „Aber dafür ist das Budget zu knapp. Zumal wir uns
ja auf Schrottwichteln geeinigt haben. Mal gucken, was mir da noch einfällt. –
Hast du denn schon etwas?“
Astrids Blick
wird betont geheimniskrämerisch, als sie sich mit der Linken das Salz von den
Lippen wischt und zum nächsten Glühweinstand schielt. „Das wüsstest du wohl
gerne, was?“
„Äh… ja klar,
deshalb frage ich ja! Wieso?“
„Na, ich hab’
doch dich gezogen!“
„Ach, echt?“ Ich
muss grinsen. „Krieg’ ich denn was Feines?“
„Abwarten“,
entgegnet Astrid und wendet sich wieder an die Jungs. „So, ich hab’ brav
aufgegessen. Darf ich jetzt wieder was
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