Liebe am Don
entfernteste Uran noch durch ein leises Summen verrät. Das Telegramm lautete:
»In Wolgograd angekommen. Alles in Ordnung. Verzögerung durch Bodmar, der im Aufmarschgebiet der deutschen 6. Armee fünf Tage lang fotografierte. Auf Wunsch Bodmars nicht wohnen im Hotel ›Intourist‹, sondern im Zelt am Ufer der Wolga im Süden der Stadt. Jelena Antonowna Dobronina.«
Oberstleutnant Rossoskij legte das Telegramm vorsichtig, als sei es äußerst zerbrechlich, auf den Tisch zurück.
Warum schickt die Dobronina ein Telegramm, dachte er. Warum telefoniert sie nicht wie bisher? Warum hat sie fünf Tage lang geschwiegen? Wie ist es möglich, daß sie ein Telegramm schickt, bevor sie sich beim Abschnittsleiter gemeldet hat, wie es befohlen ist?
Rossoskijs unbestimmbares Gefühl verstärkte sich. Es war ihm, als habe sein Herz zwei verschiedene Schläge … einer normal, der andere schneller, von einer warnenden Hast.
In einem Zelt am Ufer der Wolga, dachte er. Im Süden der Stadt. Das fällt auf, das hat sofort ein Polizist gemeldet, darüber muß es bereits eine Notiz in den Akten der Miliz geben. Die bürokratische Ordnung in Rußland ist perfekt. Es gibt keine vollkommenere Verwaltung.
Rossoskij holte sich das Telefon heran und drückte auf den Knopf Zentrale. Eine helle Mädchenstimme meldete sich.
»Ein Blitzgespräch nach Wolgograd«, sagte Rossoskij. »Die Kommandantur der Miliz. Ich warte –«
Zwei Stunden später hatte sich der Schreibblock vor ihm mit Notizen gefüllt. Sie hielten fest, was Rossoskij bei seiner laufenden Fahndung nach Jelena und Bodmar erfahren hatte.
Am Wolga-Ufer gab es genau siebenundzwanzig Zelte. Aber sie gehörten den Bautrupps, die am Ufer Grünanlagen anlegten. Zelte, in denen die Arbeiter Pause machten, Tee kochten, Suppen wärmten und schnell noch eine Partie Schach spielten, bevor die Arbeit weiterging.
Ein Privatzelt war nirgends aufgeschlagen. »Wir hätten es auch sofort gewußt, Genosse Oberstleutnant«, sagte der Chef der Miliz ein wenig beleidigt. »Es kann sein, daß sie noch kommen. Vielleicht gegen Abend …«
»Sie melden es mir sofort, Genosse. Ich danke Ihnen.« Rossoskij legte den Hörer auf. Er glaubte nicht mehr an das Zelt am Wolga-Ufer. Sein Gefühl wurde immer drängender.
Aber da lag das Telegramm. Wer hatte es aufgegeben? Und warum war es geschickt worden?
Rossoskij holte eine Liste aus dem Schreibtisch, überflog eine Reihe von Namen und wählte dann einen aus. Mit ernstem Gesicht drehte er eine Telefonnummer des Hausapparates.
»Kommen Sie bitte zu mir, Genosse«, sagte er knapp. »Bereiten Sie sich darauf vor, noch heute nach Wolgograd zu fliegen …«
Fünf Minuten später trat der Mann ein. Mit ihm kam ein Mensch auf die Bühne des Schicksals, der einem Block aus Eisen ähnlicher war als einem durchbluteten Wesen.
Wir kennen ihn. Es war Major Boris Grigorjewitsch Tumow.
*
Bereits das erste, was Tumow aus der Mappe herausnahm, die ihm Rossoskij über den Tisch schob, ließ ihn versonnen lächeln. Es war ein Foto. Rossoskij beobachtete erstaunt die Veränderung des Majors.
»Sie kennen Eberhard Bodmar?« fragte er.
»Ich lernte ihn im Hotel ›Ukraina‹ kennen, als wir den Fall des armen Gorlowka bearbeiteten. Ich ließ damals Bodmar als ersten verhören, weil er das Zimmer neben dem Ermordeten bewohnte. Jelena Antonowna holte ihn mir dann weg, aufgrund ihrer Sondervollmachten.« Er hob ein Foto von Jelena hoch und schwenkte es durch die Luft wie einen Fächer. »Sie hatte große Vollmachten.«
»Interessant.« Rossoskij machte sich eine Notiz. »Welchen Eindruck hatten Sie von der Genossin, Major?«
»Sie verteidigte ihr Schäfchen wie gegen einen Wolf.« Tumow warf das Bild Bodmars auf den Tisch. »Sie war ein verteufeltes Weibchen –«
»Warum reden Sie eigentlich immer in der Vergangenheit, Boris Grigorjewitsch?« Rossoskij lehnte sich zurück und knetete das Mundstück seiner Papyrossa nach. »Sie ist ein Teufelsweib!«
Tumow zog die Augenbrauen hoch. In dieser Minute kannte er sich nicht mehr aus. Seine Abteilung bearbeitete geheimnisvolle Todesfälle innerhalb des KGB, und wenn er gerufen wurde, handelte es sich immer nur um Leichen, deren Rätsel er zu lösen hatte.
»Ich dachte –«, sagte er gedehnt, denn es war gefährlich, Rossoskij zu reizen. Seine Wutausbrüche waren berühmt, und bei Gewitter soll man vermeiden, unter den Blitzen zu stehen. »Meine Abteilung, Genosse Oberstleutnant, war bisher nur zuständig –«
»Ich
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