Liebe am Don
Ihnen –«, sagte Bodmar leise, als er an ihr vorbei das Zimmer verließ.
Jelena Antonowna rührte sich nicht. Ihr Kopf blieb abgewandt, aber sie verstand ihn sehr gut. Was hat mich nur dazu getrieben, meinen Auftrag nicht an die Zentrale zurückzugeben? dachte sie. Welcher verfluchte Teufel ritt mich da? Aber wer kann gegen sein Gefühl an, wer kann das schon? Den ganzen Tag bin ich herumgelaufen wie ein weggejagter Hund.
Bei Gott, es war gestern ein schlimmer Tag für Jelena Antonowna gewesen. Seufzend hatte sie in die trübe Brühe gestarrt, die man ihr in einem Café vorsetzte, und zwei junge Burschen, die mit ihr anbändeln wollten, hatte sie angefaucht wie eine auf den Schwanz getretene Katze. »Putzt euch die tropfenden Nasen!« hatte sie gezischt. »Was sitzt ihr überhaupt hier herum? So wie ihr ausseht, gehört ihr in einen Schweinekoben …«
Am Nachmittag trieb es sie zum Hotel ›Ukraina‹ zurück. Sie wartete in einer Taxe, zahlte allein zehn Rubel fürs Stehen und beschwichtigte den Fahrer, der mehrmals fragte, ob er nicht zur Nervenklinik fahren sollte. »Warten und schweigen Sie, Genosse!« herrschte Jelena ihn an. »Oder haben Sie Angst um Ihre Rubel?«
Gegen drei Uhr nachmittags verließ Bodmar das Hotel. Der Portier winkte vom Parkplatz eine andere Taxe heran, und Jelena tippte ihrem Fahrer auf die Schulter.
»Hinterher!«
»Aha!« Der Fahrer ließ seinen Motor aufheulen. »Etwas Politisches? Ein Ausländer? Sieht man gleich, Genossin. Ihre Anzüge haben einen so schrecklichen kapitalistischen Schnitt … sie wirken darin jünger und männlicher. Immer müssen sie betrügen, die Imperialisten.« Er grinste dabei wie einer, der während des Lachens gelähmt wurde, und löste die Bremse.
»Fahren Sie!« schrie Jelena wütend. »Für jedes dumme Wort ziehe ich Ihnen eine Kopeke ab –«
Den ganzen Nachmittag über schlich sie hinter Bodmar her … kreuz und quer durch den Kreml. Vom Glockenturm Iwan Weliki bis zur großen Glocke ›Zar Kolokol‹. Von der Kanone ›Zar Puschka‹ bis zu den goldenen Zwiebeltürmen der Blagowestschenski-Kathedrale. Von der Kirche Maria Himmelfahrt, der Krönungskirche der Zaren, bis zur Archangelski-Kathedrale, der Grabkammer der Zaren. Es war eine schwere Arbeit gewesen, immer in seiner Nähe zu bleiben, ohne daß er sie entdeckte, ihn nie aus den Augen zu verlieren und sich bei den Führungen durch die Gebäude immer abseits, hinter Säulen, in Ecken oder hinter Möbeln zu verstecken. Dem Fremdenführer Luka Petrowitsch Artjuchow fiel das auf, er zerrte sie hinter einem silberbeschlagenen Schrank hervor, während sein Kollege die Besucher weiterführte in den nächsten Saal. Aber Jelena Antonowna zückte einen kleinen Ausweis, hielt ihn stumm Luka Petrowitsch unter die dicke Nase, und siehe da … er salutierte wie vor einem Offizier, legte die Finger auf den Mund und trollte sich schnell zu den anderen.
Man muß daraus folgern, daß Jelena Antonowna etwas Besonderes war. Im Augenblick aber war sie nichts als ein herumschleichendes, kleines, hübsches, in der Tiefe mit Liebesseufzern aufgefülltes Weibchen, das einen Mann verfolgte wie ein Jäger einen Zobel.
So verlief der Nachmittag mit größter Anstrengung, denn Jelena begleitete aus der Ferne Bodmar auch zurück zum Hotel ›Ukraina‹. Einen Auftrag dazu hatte ihr niemand gegeben. Um acht Uhr abends, als Bodmar begann, sich durch die Speisekarte des Hotelrestaurants zu essen, meldete sich Jelena bei ihrer Dienststelle und traf dort nur noch den Hauptmann Iswolski an.
Das scheint verwunderlich, denn das ›Intourist‹ ist eine Reiseorganisation, besetzt mit braven Zivilisten, die höflich und hilfsbereit sind, alles wissen, alles besorgen, alles möglich machen und alles sehen. Es ist ein Reisebüro der Superlative. Drehscheibe von einem Sechstel der Welt. Ein Mammutunternehmen mit Niederlassungen in allen Ländern der Erde. Das immer lächelnde Gesicht Moskaus. Ein Labyrinth aus Freundlichkeit. Eine Visitenkarte des roten Bären: Ich fresse nicht … man darf mich streicheln.
Jelena Antonowna war nur bedingt für das ›Intourist‹ ein Firmenmitglied. Ihre wahre Dienststelle war das Haus an der Ecke Lubin-Allee und Kujbischewa. Das Auge und Ohr Sowjetrußlands. Das ›Konntet gossudarstwennoi besopassnosti‹. Das Ministerium für Staatssicherheit. Kurz ›KGB‹ genannt.
Das gleiche Gebäude, in dem auf Zimmer 41 der Major Tumow seinen Schreibtisch stehen hatte.
»Sie kommen spät, Jelena
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