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Liebe am Don

Liebe am Don

Titel: Liebe am Don Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
    »Sie ist vom Teufel besessen!« stammelte Evtimia, rannte zum Fenster und sah zu, wie Bodmar und Njuscha sich auf die Pferde schwangen und davonritten. »Wie eine rossige Stute ist sie. Wo soll das noch hinführen? Ich erwürge sie, ich selbst, wenn sie von ihm einen dicken Bauch bekommt!«
    Die Sonne schien warm auf die Steppe, als Bodmar und Njuscha langsam dem Horizont zuritten, wo schlanke weiße Birken die lange Linie unterbrachen und den sich mit der Erde vermählenden Himmel zu einer grünen Borte auszackten. Sie ritten eng nebeneinander, so eng, daß sich die Pferde fast rieben. Nach einer Weile ritten sie umschlungen dahin, hatten die Arme umeinander gelegt und küßten sich, während die Gäulchen brav im langsamen Schritt dahingingen, als wüßten sie, was in ihren Sätteln geschah.
    »Noch zehn Werst, Sascha«, sagte Njuscha und zeigte auf die Linie der Birken in der Ferne. Das Land war wie ein Tisch, flach und mit einer grünen Decke gedeckt. Ein streng-würziger Geruch drang aus dem Boden.
    »Es ist wirklich ein Panzer?« fragte Bodmar.
    »Ja. Ein deutscher Panzer, Sascha. Der Turm ist zerschossen, die Ketten haben die von der Sowchose abmontiert, aber sonst ist er gut erhalten. Sogar das Kreuz ist noch draufgemalt. Du weißt, das dicke schwarze Kreuz. Unsere Panzer trugen ja einen Stern …«
    »Und was liegt sonst noch im Wald?«
    »Nur der Panzer, Sascha. Bei den Aufräumungsarbeiten haben sie ihn dort liegen lassen. Er stört ja niemanden. Er steht mitten im Wald.«
    »Und du hast kein Grab gesehen?«
    »Nein. Als mein Vater mich das erstemal mitnahm und mir den Panzer zeigte, war ich zehn Jahre alt. Da lag er schon so da wie heute. ›Wir haben ihn abgeschossen‹, sagte Väterchen stolz. ›Meine Kameraden. Es gab für die Deutschen keine Rettung mehr. Überall waren wir, wie die Zieselmäuse. Aus jedem Loch kroch einer von uns und schoß.‹ Und dann stand er vor dem Panzer und betrachtete ihn wie ein Heiligenbild –«
    Sie erreichten den Wald nach einer Stunde, wanden sich mit den Pferden durch die engstehenden Birken, durchbrachen eine Gruppe niedriger, verfilzter Holunderbüsche und standen dann vor dem deutschen Panzer. Bodmar sprang aus dem Sattel und trat an das stählerne Wrack heran.
    Wie Njuscha gesagt hatte, war der Turm abgesprengt, sicherlich durch den Volltreffer einer Panzerabwehrkanone. Regen, Sonne und Wind hatten die Farbe abgefressen und die Stahlplatten mit Rost und Moos überzogen, aber das schwarze Balkenkreuz war noch deutlich zu erkennen und vorne die Reste einer Nummer und eines taktischen Zeichens.
    Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Bodmar. Zum erstenmal stand er Auge im Auge dem Tod gegenüber. Hier, in diesem Stahlkasten, waren Menschen gestorben. Hatte eine krachend explodierende Faust ihnen den Turm weggerissen, ihre Leiber zerfetzt, ihre Köpfe zerplatzen lassen, ihre Lungen gesprengt. Hier waren sie verbrannt … der geschwärzte Stahl verriet es noch jetzt. Vielleicht war einer noch schreiend herausgekrochen, über die Ketten auf die Erde gefallen und dort gestorben, um sich schlagend vor Schmerzen und ohne Hoffnung, gerettet zu werden.
    Ein Heldentod.
    Bodmar spürte ein Würgen im Hals. Die Verlogenheit, die verbrecherische Glorifizierung eines erbärmlichen Verreckens, die tönenden Worte berufsmäßiger Totengräber im Uniformrock, diese ganze tödliche Geilheit militanten Denkens, die auch heute wieder wie Honigseim über die Völkermassen gegossen wurde, ekelten ihn an bis zum Erbrechen.
    »Woran denkst du, Sascha?« fragte Njuscha leise hinter ihm. Er legte beide Hände auf den Panzerrumpf und starrte in die aufgerissene rußschwarze Turmöffnung.
    »Ich frage mich, warum die armen Kerle, die einmal in diesem Panzer saßen, sterben mußten.«
    »Es sind viele gestorben –«
    »Fünfundfünfzig Millionen in diesem verdammten Krieg.«
    »Das ist eine Zahl, die man sich gar nicht vorstellen kann.«
    Sie gingen um den Panzer herum, und Bodmar suchte einen schwachen Hinweis auf ein Grab. Aber in siebenundzwanzig Jahren hatte sich der Boden geglättet und verändert, Gras war gewachsen und wieder verdorrt, Eis hatte die Erdkrumen zerbröselt, der Wind und der Regen schliffen die Runzeln ab, und die welken Blätter der Birken von siebenundzwanzig Herbsten hatten eine neue Schicht gebildet.
    Bodmar kletterte auf den Panzer und stieg durch den aufgerissenen Turm ins Innere. Hier war alles verglüht, von unvorstellbarer Hitze

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