Liebe auf Dauer
Weise kümmern »muss«, weil er allein nicht zurechtkommt, und fühlt sich auf die Dauer dadurch ähnlich überfordert wie schon zuhause wegen ihres Bruders. Oder ein Mann hat sich von seiner Zwillingsschwester niemals wirklich gelöst. Die Frau, die er später heiratet, soll ihm diese innige Gemeinschaft ersetzen, und damit setzt er Erwartungen in sie, die sie nicht erfüllen kann. Solchen und anderen »Geschwister-Übertragungen« auf den Partner/die Partnerin begegnet man immerwieder, und sie können sich ebenfalls sehr störend auf die Partnerbeziehung auswirken.
Nicht selten begegnet man auch folgenden Konstellationen: Zwischen den Geschwistern geht bis ins Erwachsenenalter hinein ein tiefer Riss. Dieser ist darauf zurückzuführen, dass Vater und Mutter miteinander im Krieg lagen, die Geschwister sich jeweils auf eine Seite gegen die andere schlugen und damit in erbitterten Gegensatz zueinander gerieten. Im Partner, in der Partnerin wird zwar dann derjenige gesucht, der unbedingt zu einem hält, aber gerade dadurch kann es sein, dass man beim geringsten Konflikt in eine ähnliche Gegenposition gerät wie damals dem Bruder oder der Schwester gegenüber.
Ähnliche Übertragungen können auch stattfinden, wenn die Geschwister in Konkurrenz um die Gunst der Eltern oder eines Elternteils standen, entweder weil es überhaupt wenig Gunst gab oder die Eltern sie einseitig verteilten. Frauen und Männer mit solchen Vorerfahrungen geraten dann mit ihren Partnern leicht in eine ähnliche Art von »Geschwisterkonkurrenz«, weil sie sehr leicht das Gefühl bekommen, durch den anderen so wie damals wieder zu kurz zu kommen.
Wenn es im Erwachsenenalter keine Versöhnung gibt, besteht also immer die Gefahr, dass ich meinen Partner in den Bannkreis dieser Unversöhntheit hineinziehe und den Hader irgendwann auf ihn übertrage. Die frühen Beziehungsmuster und Bezugspersonen haben sich unserer Seele so tief eingeprägt, dass wir zu ihnen ein gutes Verhältnis brauchen, damit wir die nahen Beziehungen unserer Gegenwart in einer angemessenen Weise gestalten können.
Zusammenfassend kann man sagen:
Der Mann, der mit seiner Mutter im Hader lebt, wird seine Abneigung und seinen Hass im Lauf der Zeit aufseine Frau abladen. Der Mann, der seinen Vater innerlich ablehnt, wird sich selbst als Mann ablehnen und damit als Partner auf die Dauer seiner Frau nicht gerecht werden.
Die Frau, die unversöhnt ist mit ihrem Vater, wird ihre Ablehnung auf die Dauer auch auf ihren Mann ausdehnen. Die Frau, die ihre Mutter innerlich nicht akzeptieren kann, wird sich selbst in ihren Möglichkeiten als Frau beschneiden und darum ihrem Mann nicht in vollem Sinn eine Partnerin sein können.
In abgeschwächter Form gilt das Gesagte auch von den gleich- und gegengeschlechtlichen Geschwisterbeziehungen. Hier ist es allerdings sehr unterschiedlich, wie existenziell die Bedeutsamkeit war, die diese für mich erlangt haben. Je nachdem haben sie einen größeren oder geringeren Einfluss auf mein jetziges Paarleben.
Insgesamt gesehen spielt es – das sei ergänzend gesagt – keine Rolle, ob Zwist und Hader auch in äußeren Konflikten mit der Herkunftsfamilie gelebt werden oder ob zu ihren Mitgliedern eine Nichtbeziehung besteht, indem man den Kontakt zu ihnen zum Beispiel abgebrochen oder ihn auf äußerlichen Small Talk beschränkt hat. Versöhnt zu sein oder nicht versöhnt zu sein ist etwas, das wir in uns tragen, ganz gleich, wie es nach außen gelebt wird. Und von innen wirkt es auf die Beziehungsgestaltung mit unseren gegenwärtigen Partnern/Partnerinnen heilsam oder zerstörerisch.
Einwände
Wird hier nicht ein familiengeschichtlicher Fatalismus vertreten? Wo bleibt dabei unsere Freiheit in der Gestaltung des eigenen Lebens? Wo die Möglichkeit, gegenüber der früheren Generation etwas Neues, Besseres zu schaffen?
Ich bin ein entschiedener Vertreter der Freiheit unseres Handelns und der menschlichen Möglichkeit, sich aus denFesseln der Vergangenheit zu lösen. Nur: Wir können nicht so tun, als wären wir dabei vollständig voraussetzungslos und unabhängig. Wir können uns nicht einfach nach Gutdünken so definieren, wie wir es gerade wollen. Unsere Freiheit besteht darin, »etwas aus dem zu machen, was die Verhältnisse aus uns gemacht haben« (Hildenbrand/Welter-Enderlin 1996). Das heißt, wir müssen uns auf das beziehen, was uns vorgegeben ist. Und hier gibt es gewisse »Gesetzmäßigkeiten«. Eine dieser Gesetzmäßigkeiten ist: Damit
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