Liebe auf Dauer
seiner Mutter noch nicht im Reinen sei, wehrt der Mann ab, fühlt sich (und seine Mutter) angegriffen, verteidigt sie und sich; worauf die Frau stärkere Geschütze auffährt, was natürlich noch mehr Abwehr von Seiten des Mannes zur Folge hat, und so weiter. Damit die Partnerin/der Partner nicht in diese Rolle kommt und solche Teufelskreise nicht entstehen, muss ich es als meine Aufgabe annehmen, für das Thema »Versöhnung mit meiner Herkunftsfamilie« die Verantwortung zu übernehmen.Unter dieser Voraussetzung können dann Hinweise und Rückmeldungen, wie der Partner/die Partnerin mich in Bezug zu meinen Eltern und meinen Vater/meine Mutter in Bezug zu mir erlebt, welche Lebensthemen hier angesprochen sind und was eventuell hier zu tun wäre, sehr hilfreich sein. Denn der Partner hat mehr Abstand als ich, und damit in Bezug auf das Thema weniger blinde Flecken. Statt sich durch einen wie oben geschilderten Teufelskreis gegenseitig lahmzulegen, wäre ein in diesem Punkt kooperatives Vorgehen etwa dieses: Ich bin bereit, die Aufgabe der Versöhnung mit meiner Herkunftsfamilie selbst zu übernehmen. Und ich bin froh, wenn du, mein Partner, mir dazu Hinweise gibst, mir deine Beobachtungen mitteilst und deine Meinung dazu sagst.
Was schon im vorhergehenden Kapitel im Zusammenhang mit »das Kind im anderen kennen lernen« gesagt wurde, gilt auch hier: Um zur Versöhnung zu gelangen, kann es notwendig sein, Therapie in Anspruch zu nehmen, vor allem wenn die Kindheit von traumatischen Erlebnissen überschattet ist. In den letzten Jahren ist in diesem Zusammenhang die Methode des »Familien-Stellens« bekannt und populär geworden, vor allem in der Version, wie sie speziell von Bert Hellinger entwickelt wurde (Weber 1993), weil hier das Thema der Versöhnung mit den Vorfahren im Zentrum steht. Mit der Methode wurde und wird sehr viel Unsinn getrieben. Ich kenne aber viele Therapeuten, die sehr gut damit arbeiten, und es besteht kein Zweifel, dass daraus äußerst wichtige Impulse zu unserem Thema gewonnen werden können. Ich möchte allerdings davor warnen, zu meinen, wenn ich einmal »meine Familie gestellt habe«, wäre alles Wesentliche bereits geschehen, und wenn nicht, läge das an meiner Abwehr oder meiner Unfähigkeit, wie sie leider von manchen, die diese Methode praktizieren, denBetroffenen angehängt wird. In der Regel brauchen die Anstöße, die hier empfangen, und die Erfahrungen, die hier gemacht wurden, eine vertiefende Nacharbeit. Es spricht gerade für diese Methode, dass es so ist: Was hier erfahren wird, ist oft so komplex, vielschichtig und tiefgehend, dass es einen nacharbeitenden Prozess braucht, um nicht Wesentliches davon wieder zu verlieren.
Um solche therapeutischen Hilfen wirksamer werden zu lassen, aber auch unabhängig davon, kann es für eine Versöhnung mit der Herkunftsfamilie sehr hilfreich sein, möglichst viele Details aus dem Leben der Eltern und ihrer Vorfahren zu erfragen, entweder von den Eltern selbst oder von Menschen, die sie gut gekannt haben oder kennen.
In diesem Zusammenhang rege ich an, wo immer es möglich ist, mit den Eltern selbst über die Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. Oft besteht große Angst vor solchen Gesprächen. Viele nehmen von Vornherein an, dass sie zu nichts führen werden – weil sie sich an die negativen Reaktionen der Eltern erinnern, wenn sie früher solche Themen angesprochen haben. Dabei beachten viele nicht, dass die Zeit auch für die Eltern weitergegangen ist. Sie haben jetzt – im Alter – oft einen größeren Abstand zu dem Geschehen als damals. Sie sehen es auch anders, vieles schmerzt sie, und sie sehnen sich unter Umständen nach Versöhnung. Was sie brauchen, ist allerdings, dass die erwachsenen Kinder »anders« auf sie zukommen, nicht mehr anklagend und verurteilend. Das lässt natürlich – auch bei ihnen – die alte Härte oder Selbstverteidigungstendenz wieder aufleben. Für dieses Anders-auf-sie-Zugehen empfehle ich die Haltung des Interviewers: »Vater, erzähl mir doch mal, wie das für dich damals war … als ich auf die Welt gekommen bin, als du in den Krieg musstest, aus der Gefangenschaft kamst oder als du den Job verloren hast oder dich in die andere Frau verliebthast …« Es ist die Haltung dessen, der sich interessiert, wie es für den anderen war, und der neugierig ist, dies zu erfahren. Nicht selten kommen die erwachsenen Kinder damit einem inzwischen gewachsenen Bedürfnis der Eltern entgegen, auch von ihrer Seite
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