Liebe auf Dauer
sind:
Autonomie und Bindung: Die Polarität zwischen »Ich« und »Wir«
Bestimmen und Sich-Anschließen: Die Polarität der Macht
Geben und Nehmen: Die Polarität des affektiven Austausches
Partner erleben sich in der Regel in einer Beziehung dann als zufrieden, wenn beide an jeweils beiden Polaritäten Anteil haben, oder anders ausgedrückt: wenn beide sich zwischen den beiden Polen hin- und herbewegen. Problematisch wird es, wenn nur einer der beiden Pole im Leben des Paares vorkommt und die Partner sich gleichsam an einem Pol »fixieren«, zum Beispiel am Pol des »Wir«, indem sie nach dem Motto leben »Alles gemeinsam« und »Immer miteinander«, der andere Pol aber, das »Ich«, die eigene Welt, der eigene Raum, die Individualität des Einzelnen vernachlässigt wird. Ebenso problematisch wird es – und von diesem Fall spreche ich in unserem Zusammenhang hauptsächlich –, wenn sich die Partner »polarisieren«, das heißt, der eine sich ausschließlich auf dem einen, der andere auf dem anderen Pol bewegt. Dies ist auf jeweils unterschiedliche Weise in unseren Beispielen der Fall:
Franz lebt einseitig den Pol der Autonomie, Barbara gerät dadurch immer mehr auf den Pol der Bindung. Er sorgt für die Interessen seines Ich, sie dafür umso mehr für die Interessen des Wir, indem sie alle Fürsorgeaufgaben für ihn, dieKinder und den Haushalt übernimmt. Max wiederum, will er Gemeinsamkeit mit Isolde haben, muss sich immer ihr anschließen. Sie bestimmt, wie Gemeinsamkeit im Alltag stattzufinden hat. In diesem Punkt polarisieren sich die beiden: Sie, die Bestimmende, er derjenige, der sich immer anschließen muss und seine Vorstellungen nicht verwirklichen kann. Bei Felix und Beate und mit umgekehrten Rollen bei Rudolf und Agnes geht es schließlich um die Polarität des Gebens und Nehmens. Immer nur einer von beiden gibt, der andere profitiert davon, er nimmt und nimmt – aber gibt von seiner Seite in den Bereichen, um die es hier geht, nämlich Pflege der Mutter beziehungsweise Aktivität im Sex, nichts in die Beziehung hinein.
Wenn das über längere Zeit so geht, und das nicht nur in einem begrenzten und nebensächlichen Bereich, sondern in weiten Teilen der Beziehung und in zentralen Themen, bekommt einer der Partner auf die Dauer das Gefühl, ausgebeutet zu werden . Der andere lebt auf seine Kosten. Aber auch er wird dabei meist nicht glücklich. Denn beide Seiten der jeweiligen Polarität gehören zu unserem Leben: Wir wollen autonom und sicher gebunden sein, wir wollen bestimmen in einer Beziehung, aber auch manchmal die Verantwortung abgeben können und den anderen entscheiden und die Führung übernehmen lassen, und wir wollen mal die Nehmenden, aber auch mal die Gebenden sein. Das gehört zu einem ganzheitlichen Leben dazu. Wenn der jeweils andere Pol in unserem Leben fehlt, empfinden wir uns auf die Dauer als schmalspurig und eingeengt.
Und: Wir beginnen das dem anderen übel zu nehmen . Auch hier spielen sich sehr leicht wieder ähnliche, sich selbst verstärkende Teufelskreise ein, die uns schon mehrmals begegnet sind: Wenn der eine ausschließlich den einen Pol besetzt, ergibt sich für den anderen ein Sog zum anderen hin, und das wiederum verstärkt die Tendenz des einen, seinen Pol noch ausschließlicher zu besetzen. Wenn Franznur für sich sorgt, »muss« Barbara« es für alle übrigen tun, und dadurch »braucht« Franz immer weniger zuhause zu sein, wodurch umso ausschließlicher alle häuslichen Aufgaben an ihr hängen bleiben und so weiter. Wenn Isolde nur bestimmt, »muss« Max sich anpassen – oder er riskiert ständige Konflikte. Wenn er die nicht will, wird Isolde zur immer ausschließlicher Bestimmenden, und er wird derjenige, der sich ihr immer mehr anpasst. Und wenn Agnes keine sexuellen Impulse in die Beziehung hineingibt, »muss« es Rudolf tun, sonst findet gar nichts mehr statt. Damit aber braucht sie sich immer weniger darum bemühen, und Rolf muss es immer mehr.
Das ist sicher kein absolutes »Muss«. Es wäre auch möglich und konstruktiver, sich diesem Sog zu entziehen. Wenn Beate beispielsweise für die Mutter von Max einfach nichts mehr täte, wäre er plötzlich stark herausgefordert, doch etwas mehr Initiative zu ergreifen. Damit könnte sie den Teufelskreis durchbrechen. Aber das ist nicht leicht. Beide fixieren sich gegenseitig auf dem einen Pol und versperren sich damit den Weg zum anderen und damit zu einer umfassenderen Entfaltung ihres menschliches
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