Liebe auf Dauer
Potenzials. Franz und Max lernen auf diese Weise nicht, für andere zu sorgen, Barbara und Beate nicht, auf sich selbst zu achten und sich etwas für sich zu nehmen. Damit werden solche Beziehungen »in Schieflage« zum Entwicklungshindernis für die Person des einzelnen Partners, und wenn das einem oder beiden immer mehr aufgeht, liegt die Idee, sich zu trennen, um sich aus dieser Stagnation zu befreien, nicht mehr sehr fern. Was würde es nun heißen, diese Polaritäten »auszubalancieren«?
Autonomie und Bindung
Eine Balance hinsichtlich dieser Polarität würde bedeuten: Mann und Frau fühlen sich in einer festen Bindung miteinander, jeder von beiden hat aber auch seinen individuellen Freiraum. Jeder hat seine eigene Welt mit eigenen Interessen, Aktivitäten und Beziehungen, sie haben aber auch eine abwechslungsreiche, lebendige und ausgedehnte gemeinsame Welt . Jeder von beiden versteht es, für sich selber zu sorgen, jeder der beiden kümmert sich aber auch um den anderen, um die Beziehung, die Kinder, die Verwandten und die gemeinsamen Freunde.
Dass diese Autonomie-Bindungs-Balance gelingt, dem stehen einige Hindernisse im Weg: Die tradierten Rollenbilder sehen für den Mann den autonomen einsamen Kämpfer und für die Frau die Beziehungsexpertin und »Hüterin des heimischen Herdes« vor. Viele von uns haben die eigenen Eltern auch noch voll mit diesen Rollen identifiziert erlebt. Sie tragen sie darum auch in sich, und so wirken sie sich im eigenen Selbstverständnis und in den Erwartungen an den Partner aus – oft ganz gegen ihr bewusstes Wollen. Darum raunzt er: »Warum steht das Essen nicht auf dem Tisch?«, wenn er heimkommt, und sie, nicht er, bleibt selbstverständlich zuhause, wenn eines der Kinder krank wird …
Auch die gesellschaftlichen und betrieblichen Erwartungen gehen nach wie vor in diese Richtung. Familienfreundliche Maßnahmen sind laut Aussagen höchster Arbeitgeber-Funktionäre bei wirtschaftlichen Schönwetterlagen recht und gut, werden aber sofort zurückgefahren, wenn sich das Klima verdüstert. Der Mann, der aufgrund verschiedenster Rationalisierungsmaßnahmen mit Aufgaben so überlastet wird, dass er zehn bis zwölf Stunden täglich im Betrieb verbringen muss, braucht dann eine Frau zuhause, die sich um Kinder und Familie kümmert. Wie soll er sichum Bindung und sie sich um ihre Autonomie kümmern können?
Unsere Geschichte, unsere internalisierten Rollenbilder und unsere gesellschaftlichen Verhältnisse stellen sich also in den Weg, wenn wir diese Balance herstellen wollen. Darum braucht es von Paaren eine große Wachheit, viel Initiative und oft auch Kreativität, um ständig entstehende Schieflagen immer wieder auszugleichen in Richtung einer wirklichen Balance. Dabei wird es ohne Kompromisse nicht immer abgehen und auch nicht ohne zeitweise Benachteiligungen des einen oder anderen. Wichtig ist, dass die Paare nicht vor dem Sog in diese Richtung kapitulieren, sondern – im Bündnis miteinander – auf dem Weg bleiben, eine erträgliche Autonomie-Bindungs-Balance immer wieder herzustellen.
Bestimmen und Sich-Anschließen
Eine ausgeglichene Balance innerhalb dieser Polarität bedeutet, dass Frau und Mann etwa zu gleichen Teilen in der Beziehung die Bestimmenden sind, und das geht ohne Machtkampf nur, wenn sie sich zu gleichen Teilen auch einander anschließen, das heißt, vom anderen bestimmen lassen. Bestimmen, das bedeutet Initiative ergreifen, Vorschläge machen, seine Meinung klar sagen und auch vertreten, Impulse geben, manchmal auch sich kraftvoll durchsetzen. Sich-Anschließen, Sich-bestimmen-Lassen heißt: auf den anderen hören, ihm zustimmen, ihm folgen, auch sich ihm anpassen.
Es geht also hier um eine ausgeglichene Machtverteilung zwischen Mann und Frau. Ausgeglichene Machtverteilung heißt nicht, dass beide immer zur gleichen Zeit gleich bestimmen können müssten. Dieser Anspruch führt lediglich zu dauernden Machtrangeleien. Zuweilen könnenMachtrangeleien in der Partnerschaft recht belebend sein. Als Dauer-Beziehungsmuster werden sie sehr strapaziös und zerstörerisch. Ein partnerschaftlicher Umgang mit der Macht bedeutet dagegen nicht Machtkampf, sondern: Bestimmen und Sich-Anschließen kann zwischen den Partnern flexibel wechseln. Mal bestimmt der Mann, und die Frau schließt sich an, mal bestimmt die Frau, und der Mann schließt sich ihr an.
Das heißt nicht unbedingt, dass jeder der Partner in jedem Bereich bestimmen können und sich anschließen muss.
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