Liebe auf dem Pulverfaß
schrie Halevi.
»Ist Nichtstun ein Verrat?«
»In Ihrem Falle – ja! Im übrigen können wir mit Ihren Unterlagen weiterarbeiten. Uns mangelt es nicht an großen Physikern.«
»Es gibt keine Unterlagen –«, sagte Yonatan fast milde. »Nur ein paar Notizen. Die Grundberechnungen habe ich gestern mitgenommen und versteckt.«
»Sie Narr!« Halevi wollte noch etwas sagen, winkte dann ab und rannte zum Telefon. Fünf Minuten später war er wieder im Zimmer. Moshe und Rebba saßen jetzt nebeneinander auf dem Sofa und hielten sich an den Händen. Sie gaben sich gegenseitig Kraft, das durchzustehen. Sie hatten vieles zusammen erlitten, Hitlers Machtübernahme, die Flucht nach Wien, die erneute Flucht nach London und dann nach Haifa, die Jahre im Kibbuz am Gazastreifen – nun forderte man ihren Sohn, nur weil sie Juden waren.
»Dayan möchte Sie sprechen«, sagte Halevi knapp. Moshe Yonatan nickte.
»Mein Haus ist sein Haus.«
»Ich soll Sie zu ihm bringen.«
»Ich gehe hier nicht weg!« Moshe lehnte sich zurück, und Rebba folgte ihm. Hand in Hand, eine Gemeinschaft, die man nur zerhacken konnte, machten sie das Sofa zu ihrer Burg. »Wollen Sie mich zwingen, Josuah? Mit Militär? Zu Dayan tragen? Was Sie auch tun werden … hier –«, er tippte gegen seine Stirn –, »hier, unter diesem Knochenpanzer, in diesem Gehirn, liegt alles, worum sich zwei Welten streiten. Wie gut, daß man Hirnwindungen nicht aufrollen und lesen kann wie einen Film! Bestellen Sie Dayan: Ich liebe mein Volk. Ich bin Jude. Man hat mich zum Leiden erzogen. Aber jeder Schmerz hat eine Grenze, nach der er betäubt werden muß. Wir stehen an der Grenze …«
»An der Grenze stehen arabische Armeen mit siebenhunderttausend Soldaten, viertausend Panzern, dreizehnhundert Kampfflugzeugen und vierhundertsiebzig Millionen Tonnen Rohölförderung, mit der sie die ganze Welt besoffen machen! Was haben wir? Unseren Überlebenswillen – weiter nichts! Und Sie! Ihr Zielgerät! Jeder Schuß ein Treffer! Das ist so wichtig wie Blut im Körper!«
»Ich weiß es, Oberst.« Yonatan schloß die Augen. Sie brannten vor inneren Tränen, heißer Gebete und völliger Hoffnungslosigkeit. »Aber Kehat ist mein einziges Kind, mein einziger Sohn … der letzte Yonatan auf dieser Welt …«
Sie hatten sich in einer kleinen Pension eingemietet, am Rheinufer, etwas außerhalb von Basel. Es war ein billiges Zimmer unter dem Dach, aber man konnte am Fenster sitzen und über den Strom blicken, die Sonne ging vor ihnen unter, als glitte sie in ihre Hände, und der Fluß, das grüne Land, die Häuser, die Hügelketten gegenüber, die gewundenen Straßen, Himmel und Erde waren übergossen mit Gold, das aus der Unendlichkeit floß.
Der Pensionswirt hatte nicht nach dem Namen gefragt, den Meldezettel nicht hingeschoben, dafür aber hundert Francs kassiert und nüchtern gesagt: »Das reicht für drei Tage.«
Das war am Morgen gewesen. Sie waren mit der Straßenbahn durch Basel gefahren, bis zur Endstation, hatten dann die Straße entlanggeblickt, waren am Rheinufer entlang gegangen und auf das Haus gestoßen, das sich ›Pension Vogeli‹ nannte. »Ein schöner Name«, hatte Kehat gesagt. »Wollen wir hier bleiben?«
Amina hatte genickt. Die Flucht aus Deutschland hatte sie mehr ergriffen, als sie vorher geglaubt hatte, obwohl alles auf die Minute vorbereitet gewesen war. Auf der langen Fahrt nach Basel mußte sie oft an ihren Vater denken und an den Schmerz, den sie ihm zugefügt hatte. Einmal – hinter Freiburg – umklammerte sie Kehats Arm und sagte: »Halt an … bitte, halt an!«
Er war nach ein paar Kilometern in einen Rastplatz eingebogen und hatte den Leihwagen ausrollen lassen. Nur zwei dunkle Lastzüge standen auf dem Platz, die Fahrer schliefen in den zugezogenen Kojen. Es war eine helle Nacht, und Kehat brauchte kein Licht, um Aminas nahes, erschreckend fremdes Gesicht zu erkennen.
»Du hast Angst?« fragte er.
»Nein, ich liebe dich, Kehat.« Sie umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen, zog ihn ganz nahe an sich heran, und ihre Augen brannten in ihn hinein. »Das ist aber auch alles, was ich noch habe. Deine Liebe! Ist das genug, Kehat? Sag es mir, Kehat … ist das genug? Reicht das für ein ganzes Leben?«
»Für zehn Leben, Amina«, antwortete er und legte die Arme um sie. Er spürte, wie sie zitterte, und er wußte darauf nichts weiter zu sagen als: »Wir haben das ganze Leben vor uns –«
»Ein Leben der Maulwürfe. Kaum tauchen wir auf,
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