Liebe auf dem Pulverfaß
Erpressung. Professor Yonatan gegen einen noch unbekannten, bestimmt äußerst hohen Preis.
»Nichts!« sagte Halevi hart. »Wir lassen uns zu nichts zwingen … wir schlagen höchstens zurück!«
Ein endgültiges Wort … Yonatan, der bei seiner Fahrt durch das Land auch an diese Worte dachte, denn was jetzt geschah, wußte er genau, las in seiner Zeitung weiter. Er empfand keine Angst. Das Verfolgtwerden hatte er schon mit der Muttermilch getrunken, es gehörte zu seinem Judentum. Eine ganze Welt gegen ein Häuflein Heimatsuchender. Gottes Fluch nach dem Tanz um das Goldene Kalb war unsterblich –
Der Wagen fuhr nicht bis Jerusalem, denn wie erwartet waren alle Zubringerstraßen von Militärkolonnen abgeriegelt. In der Abenddämmerung – nachdem man zwischen einem Olivenhain und einer Hügelkette gerastet hatte – bog man bei Abu Ghosch in ein waldreiches Seitental ab und erreichte nach einer Stunde die Ruinen eines mittelalterlichen Klosters. Wunderschöne, die Gotik widerspiegelnde Spitzbogenarkaden verloren sich in einen Granatbaum-Wald, der in den vergangenen Jahrhunderten sein verlorenes Gelände neu erobert hatte.
Der Wagen hielt. Yonatan sah sich erstaunt um. »Das Kloster der Nonnen von Aqua Bella«, sagte er. »Hier kämpfte Walter Scott mit seinen Kreuzrittern gegen die Sarazenen.«
»Steigen Sie aus.« Der Mann, der Medizin studiert hatte, öffnete die Wagentür. »Sie werden erwartet.«
Moshe Yonatan schob sich aus dem Auto. Die Dämmerung war schon stark, er hatte Mühe, Einzelheiten zu erkennen … aber er sah doch unter den herrlichen Arkaden der Ruinen einsam, fast mitleiderregend, eine Gestalt stehen, in einer dreckigen Dschellabah und einem verblichenen Kopftuch, das ein einfacher Strick zusammenhielt. Ein Eseltreiber hätte nicht ärmlicher sein können.
Yonatan ging die paar Schritte nach vorn, und die Gestalt löste sich aus ihrer Starrheit und kam ihm entgegen. Zwischen zwei Säulen, unter einem Bogen, der einmal den Speisesaal der Nonnen von Aqua Bella schmückte, standen sie dann voreinander und sahen sich lange an.
»Ich brauche mich nicht vorzustellen –«, sagte Moshe Yonatan, »aber ich wüßte gern, wer mein Gastgeber ist.«
»Ein Vater –«, antwortete die Gestalt. »Ich hielt es für gut, wenn sich die Väter kennenlernen, deren Kinder sich lieben. Ich bin Safar Murad … seien Sie mein Gast, Moshe Yonatan …«
Es hatte keinen Sinn, Yonatans Entführung zu verschweigen … was die Israelis nicht taten, das trommelten die Araber in alle Welt. Und die Welt hielt, wie so oft in diesen Monaten – den Atem an und blickte nach Jerusalem. In den Hauptstädten der großen Nationen kam man zu Sondersitzungen zusammen, der Sicherheitsrat der UNO wurde einberufen. Gab es einen neuen Krieg? Was tat Dayan? Wo setzte er den Vergeltungsschlag an? Wie verhielt sich Moskau? Rollte eine neue Terrorwelle über alles, was Juden und Araber heißt?
»Eine verrückte Situation!« sagte Dayan, als über Nacht der Name Moshe Yonatan so bekannt war wie Coca Cola. »Man will uns zu Handlungen zwingen … und was wir auch tun, immer wird es heißen: Wegen eines einzigen Mannes dieses Meer von Blut! Eines ist jedenfalls sicher: Yonatan ist verloren. In den Augen der Welt nur ein Nadelstich gegen Israel. Die Menschheit hat sich an das Töten gewöhnt –«
Als die Morgenzeitungen auch in der Schweiz die Nachricht von der Entführung Yonatans brachten, warf Kehat seine dicken Lederhandschuhe weg, die er zum Schutz gegen die rauhe Rinde der Baumstämme trug, lieh sich von einem Arbeitskollegen ein Rad und fuhr wie ein Verrückter die drei Kilometer vom Sägewerk bis zur ›Pension Vogeli‹ herunter. Dort schien man ihn erwartet zu haben, Amina lief ihm entgegen, und der Wirt rief sofort: »Bleiben Sie ruhig! Erst überlegen! Man kann ja gar nichts tun …«
»Das ist die Antwort deines Vaters!« brüllte Kehat. Er umklammerte Aminas Schulter und schüttelte sie, und sie hing in seinen Händen und war wie eine Puppe mit zerbrochenen Gliedern. »Ich soll nichts tun? Ich soll das einfach ertragen?«
»Ich liebe dich …«, sagte Amina und schloß die Augen. »Ich liebe dich … ich liebe dich …«
Und als Kehat weiterschrie, Worte, die niemand mehr verstand, dann nur noch Töne, schaurig in diesem zerberstenden Schmerz, packte sie seinen Kopf, hielt ihn fest, starrte in seinen aufgerissenen Mund und sagte mit einer Ruhe, die alles um sich herum zu vereisen schien:
»Wir holen deinen Vater
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