Liebe auf dem Pulverfaß
brüllen gehört hatte.
Was hilft es, dachte Yonatan und setzte sich wieder vorsichtig. Murad ist nicht der einzige Araber. Aber er ist einer der wenigen, die bei aller Grausamkeit der Stunde noch Idealisten sind, die den Menschen achten … wäre er sonst Arzt? Die anderen, die große Masse der Hassenden, sie wird eines Tages diese wenigen großen arabischen Männer überrollen, wie es die Geschichte uns lehrte bei anderen Revolutionen: Jeder Umsturz frißt immer die Besten. Übrig bleiben die Feigen, die ihre Macht nur auf ihre große Schnauze stützen.
Er blickte aus dem Fenster in den Park und bedauerte fast Dr. Murad, der edel und gut sein wollte, wo man Blut und Tränen ausstreute.
In einer Art Büro, bewacht von zwei stämmigen Männern mit umgehängten Maschinenpistolen, saß Jasir ben Rahman hinter einem breiten Schreibtisch und las die neueste Ausgabe einer ägyptischen Zeitung. Er hatte die Beine auf den Tisch gelegt und schien Murad erwartet zu haben, denn er rührte sich nicht, als vor der Tür ein gewaltiger Lärm entstand, Murad die beiden Wächter zur Seite boxte und in das Zimmer stürzte. Mit einem Tritt warf er die Tür wieder zu und ballte die Fäuste, als Jasir ruhig weiterlas, als sei er taub.
»Sind wir Folterknechte?« brüllte Dr. Murad. »Was hat man mit Moshe Yonatan gemacht?«
»Das sind zwei Fragen, Safar.« Jasir ben Rahman legte die Zeitung zur Seite, nachdem er sie sorgfältig zusammengefaltet hatte. »Frage eins: Wir sind glühende Nationalisten. Frage zwei: Wenn ein Mensch Moshe heißt, blickt Allah bei allem, was mit ihm geschieht, weg. – Waren das klare Antworten, Safar?«
»Professor Yonatan ist mein Gast!« brüllte Dr. Murad.
»Wir sind der Ansicht, daß du ihn als Geisel und Beute mitgebracht hast.«
»Wer ist wir?«
»Der Zentralrat.« Jasir lächelte mokant. »Gut, du magst privat mit diesem Moshe gut auskommen … für uns ist er ein Stück Krieg gegen Israel. Eine Waffe! Er hat das Nachtzielgerät entwickelt … er wird es uns verraten!«
»Nie wird er das!«
»Er ist ein alter Mann, Safar. Alte Männer haben Angst vor Schmerzen …«
»Ich befehle, daß –«
»Halt!« Jasir richtete sich auf. »Wer befiehlt? Du? Warum blähst du dich auf wie ein Pfau? Wir sind dir dankbar, daß du Yonatan herbeigeschafft hast – damit ist deine Aufgabe erledigt. Du kannst zurück nach Syrien fliegen. Man braucht Ärzte an der Front –«
»Ich habe Professor Yonatan versprochen, daß man ihn nicht antastet. Ihr aber geht hin und schlagt ihn blutig!«
»Wie kann man etwas versprechen, was man nicht geben kann?« Jasir ben Rahman schüttelte den Kopf. »Du verschenkst Gnade. Wie kann ein Moshe Gnade erwarten? Du hast Yonatan belogen, nicht wir. Frag ihn selbst: Von der Stunde an, wo er in deinen, also in unseren Händen war, erwartete er keine Milde mehr. Alles andere ist Betrug.«
Dr. Murad sah Jasir starr an. Im Leben eines jeden Menschen kommt einmal der Augenblick, in dem er erkennt, daß ein großer Glaube nichts anderes war als eine Selbstlüge. Es bricht dann zwar nicht eine Welt zusammen, aber man wandelt sich von einer Stunde zur anderen.
»Ich möchte mit Beirut sprechen –«, sagte er hart. Jasir hob die breiten Schultern.
»Arafat ist nicht mehr in Beirut. Er soll gerade in Libyen sein … aber wer weiß?« Er zeigte auf das Telefon. »Versuchen Sie es, Safar. Aber was ändert das? Ich habe den Auftrag, Yonatan zur Preisgabe des Nachtzielgerätes zu bewegen. Tausende von arabischen Leben hängen davon ab … und Sie wollen mich hindern, meine Brüder zu retten? Safar, hat Allah Sie völlig verlassen?«
»Ihr werdet ihn nicht wieder schlagen!« sagte Dr. Murad gefährlich leise. »Moshe wird in meinem Zimmer bleiben, und wer ihn holen will … bitte, er muß erst über mich hinweg …«
»Wäre das eine Schwierigkeit?«
»Wer wagt es, einen Murad al Mullah anzugreifen?«
»Jeder von uns!« Jasir wedelte mit der Hand. Er stand auf und kam um den großen Tisch herum. Er war etwas kleiner als Murad, aber stämmiger und jünger. »Safar, die Zeit der Reden ist vorbei. Auch die Plätze der Humanität werden geräumt. Diese träge Welt wacht nur auf, wenn sie aus vielen Wunden blutet … wir werden ihr diese Wunden schlagen, wo immer sie verwundbar ist! Was ist da noch ein Moshe Yonatan oder ein Dr. Safar Murad?«
»Ihr müßtet mich töten –«, sagte Murad leise. »Jawohl, töten, um Moshe auf eure Art zu verhören …«
»Laß es uns überlegen, Safar.«
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