Liebe auf dem Pulverfaß
der Dunkelheit verwehte … das endlose Land formte sich in diesen Tönen, die Weite der Wüste, die Erduldung der glühenden Sonne, die Sehnsucht nach blühenden Gärten und sprudelnden Brunnen.
In seinem Zimmer zuckte Dr. Murad hoch. Zuerst im Unterbewußtsein, jetzt nach dem Erwachen ganz deutlich drangen die klagenden Töne an sein Ohr. Er richtete sich auf, blickte hinüber zu Moshe Yonatan, der auf einem Sofa lag, und schlich zum Fenster. Jasir hatte sie heute noch in Ruhe gelassen. Er hatte sogar geduldet, daß Yonatan bei Safar auf dem Sofa schlief. Vielleicht aber war es auch nur eine Geste, daß Murad al Mullah ab sofort nicht mehr wert war als der Jude Moshe.
»Warum schleichen Sie herum?« fragte Moshe von seiner Liegestatt mit wacher Stimme.
»Sie schlafen nicht?« Murad drehte sich herum.
»Nein. Soll ich die wenigen Stunden meines Lebens noch verschlafen? Dafür haben Sie ganz schön geschnarcht. Was macht Sie so unruhig?«
»Hören Sie die Flöte?«
»Schon eine ganze Zeit, Safar. Eine traurige Melodie.«
»Es ist eine alte syrische Hirtenweise, Moshe. Bei mir zu Hause wurde sie manchmal von meinen Kindern Abdallah und Amina gespielt, zweistimmig, auf zwei Flöten. Das klang wundervoll.« Murad lehnte sich an das Fenster. Unten innerhalb der Mauer gingen die Wachen hin und her. »Und jetzt spielt sie jemand hier. Ausgerechnet hier. In Ägypten kennt das niemand …«
Moshe Yonatan erhob sich und schlurfte ächzend zum Fenster. Die blutigen Striemen begannen zu brennen.
»Ein Zeichen, Safar?« fragte er leise. In seiner Stimme klang eine irre Hoffnung auf.
»Von wem?«
»Ihre Freunde.«
»Draußen auf der Straße? Da sind sie uns ferner als auf dem Mond.«
»Aber wir wissen, daß wir nicht mehr allein sind.«
»Was nützt dem Gehenkten, wenn er weiß, daß man seinen Tod mit dem Fernglas betrachtet und dazu flucht? Still –«
Sie standen am Fenster und lauschten. Das alte Hirtenlied begann von neuem. Aber jetzt war es eine Tonstufe höher, und einige Triller unterbrachen die wehmütige Melodie.
»Amina …«, stammelte Murad plötzlich und hielt sich an Yonatan fest, als habe er keine Beine mehr. »Das ist Amina … Allah, sie ist hier! Sie ist hier! Diese Variationen spielte nur sie, es war ihre eigene Komposition, niemand auf der Welt spielt die Weise so. Sie ist hier … Moshe, vor dem Haus steht meine Tochter …«
»Und Kehat, mein Sohn!«
Sie starrten sich ungläubig an und wußten plötzlich, zu welch sinnloser Tapferkeit sich ihre Kinder aufgerafft hatten.
»Diese Narren!« sagte Moshe Yonatan dumpf. »O Gott, schütze sie …«
»Das ist Blut von meinem Blut!« Safar Murad umarmte Moshe und drückte ihn an sich. So standen sie eine Weile stumm und lauschten auf die alte Hirtenweise aus Syrien. »Ich bin stolz auf sie … Moshe, Sie sind es doch auch!«
»Ja und nein.« Er drehte den Kopf weg und blickte aus dem Fenster. Im Garten lagen hechelnd drei große Hunde. Deutsche Schäferhunde, auf den Mann dressiert, unüberwindlich mit den bloßen Händen. »Was nützt ein Mut, der sich selbst verbrennt?«
Die einsame Hirtenflöte nahm niemand wahr, auch nicht der sonst so wachsame und kritische Jasir ben Rahman. Er war mit einer weit angenehmeren Beschäftigung befaßt, als auf solche Töne zu achten: Er lag mit zwei hübschen Ägypterinnen auf seinem breiten Diwan und vergnügte sich mit ihnen bis zur totalen Erschöpfung. Das Lachen und Kreischen der Mädchen drang bis in den Garten, wo die patrouillierenden Wachen ab und zu den Kopf zu der dunklen Villa hoben und sogar stehenblieben.
Jasir hat es gut, dachten sie. Mohammeds sieben Seligkeiten holt er sich schon auf Erden. Ja, wenn man ein so großer Herr ist wie Jasir, dann kann man das. Tagsüber lebt er nur für die Revolution, ein Fanatiker wie damals der Mahdi … man soll ihm die Nächte gönnen. In den Armen der Frauen wächst der Mut der Männer, hat einmal ein islamischer Weiser gesagt. Was den Ungläubigen ihr Alkohol, ist für den Gläubigen ein Weiberschoß.
Plötzlich brach das klagende Lied ab. Safar Murad drückte die Stirn gegen das feine, geschnitzte Gitterwerk seines Fensters. »Man muß Amina ein Zeichen geben«, sagte er leise zu Moshe Yonatan. »Ein Zeichen, das nicht auffällt.«
»Können Sie irgendeine Tierstimme nachmachen?« fragte Yonatan.
»Was nutzt das? Woher soll Amina wissen, daß ich das Tier bin, das da schreit?«
»Sie haben nicht ein geheimes Rufzeichen?«
»Haben Sie es?«
»In
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