Liebe auf dem Pulverfaß
heraus sind, rührt Sie keiner mehr an.«
»Ihre Garantien sind keinen Fladen mehr wert.« Yonatan streckte sich aus, die Nacht war nur noch kurz. Der neue Tag brachte das Sterben. »Und hier herauskommen? Hat Mohammed Wunder getan? Meines Wissens nicht. Da sind wir Juden besser dran. Bei uns rappelt es von Wundern unserer Propheten. Aber diese Zeit ist vorbei, Safar, endgültig vorbei.«
Wenig später schlief er, mit langen, tiefen Atemzügen. Und Safar Murad bewunderte still diese Gelassenheit vor dem Ende.
Durch irgendein Geräusch – war es ein Hundebellen oder das Gekreische von Katzen? – wachte Kehat auf und sah sich allein im Zimmer. Er sprang auf, rief leise Aminas Namen, und als er sicher war, daß sie das Zimmer verlassen hatte, warf er die dreckige Dschellabah um, band sich das Kopftuch um den Kopf und rannte die Treppe hinunter. Eine wahnsinnige Angst hatte ihn ergriffen. Er ahnte, daß Amina allein versuchen würde, mit ihrem Vater in Kontakt zu kommen, daß sie genau wußte, wo er zu suchen war und daß sie jetzt unterwegs war in ein Abenteuer, das tödlich werden konnte.
Unten aus seinem Zimmer stürzte der Wirt hervor, als Kehat an der verschlossenen Tür rüttelte.
»Ich mache schon auf!« schrie er. »Warte doch, du rasender Bulle! O Allah, womit habe ich solch unruhige Gäste verdient?« Dann erinnerte er sich, daß dieser Mann ja taubstumm war und man ihn ungestraft beschimpfen konnte. »Du geschwüriger Hund!« brüllte er. »Du Hurenbastard! Für ein paar Piaster raubst du mir den Schlaf? Die Hölle soll dich verschlucken! Verflucht sei dein Glied, damit es nur Krüppel zeuge!«
Kehat lehnte sich bebend an die Türwand. Auch er erinnerte sich rechtzeitig, daß er nichts sagen durfte. Er zeigte auf die Tür, gab mißtönige, röchelnde und blubbernde Laute von sich und stampfte mit dem Fuß auf. Dann zeigte er auf sich, nach oben und machte mit den Händen einige Bewegungen, die andeuteten, daß er von seiner ›Schwester‹ sprach.
»Sie wird in einem Bett liegen!« schrie der Wirt und schloß die Tür auf. »Im Bett eines reichen Mannes und sich Geld verdienen. Auf den Mokattam-Hügeln wohnen nur die von Allah Ausgesuchten. Ja, suche sie nur, du taubstummer Esel! Los, hinaus!«
Er riß die Tür auf, schubste Kehat auf die Straße und knallte hinter ihm die Tür wieder zu. Kehat lief bis zur nächsten Straßenecke und blieb dann stehen. Vor ihm ragten die hohen Mauern und Rundtürme der Zitadelle in den Nachthimmel. Mondschein lag über den Kuppeln der herrlichen Alabaster-Moschee, die schlanken Minarette griffen wie Finger zu den Sternen.
Kehat stieg den Weg hinan und blieb dort stehen, wo am Tage Tausende Touristen sich versammelten, um das wohl schönste Panorama mit ihren Kameras einzufangen, das die Welt zu bieten hat: den Blick über Kairo und die Pyramiden von Dahschur, Sakkara und Gizeh, die Gräber der Kalifen und Mamelucken, die wie Träume aus Marmor und gebrannten Tonkacheln aus dem Häusermeer aufsteigenden Moscheen Ibn Tulun, Sultan Hassan und Rifai … und hinten, an der Gabelung des Nils, das moderne Kairo … die Hochhäuser aus Beton und Glas.
Die Mokattam-Hügel, dachte er. Wo sind die Mokattam-Hügel? Gott im Himmel, was geschieht jetzt dort mit Amina?
Er hatte keinen Blick für die zauberhafte Schönheit des nächtlichen Kairo, er bestand nur noch aus Angst, rannte weiter und kam so, ohne es zu ahnen, auf die neugebaute Bergstraße, die hinein in die Hügelkette führte.
Das muß es sein, sagte sich Kehat. Diese Hügel dort. Die Villen, das Hotel, die Wohnblocks, diese kleine neue Stadt am Rande der Wüste. Es gab zwar Straßenschilder und Hinweistafeln, aber sie waren auf arabisch geschrieben, und Kehat konnte es nicht lesen. Im Hause Yonatan hatte man aus Prinzip und tiefem Nationalstolz davon abgesehen, Arabisch zu lernen. Die Sprache war deutsch und nun auch neu-hebräisch, Großvater Yonatan hatte noch das gahzische Jiddisch gesprochen, durchsetzt mit russischen und polnischen Worten und in österreichischer Klangfarbe … eine Lautmalerei, die Kehat nur von seinem Vater kannte, der sie nachahmte, wenn er gut gelaunt war. Aber Arabisch? Nie! »Mit der Sprache fängt der Verrat an«, war Yonatans vielleicht veraltete Ansicht. »Wir Juden sollten alle Sprachen der Welt sprechen, nur nicht Arabisch!« Es war ein nationaler Stolz und Haß zugleich in diesen Worten, die Kehat nie verstanden hatte.
Er lief weiter, immer die ansteigende Straße entlang, ein
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