Liebe auf den ersten Klick
Blässe durch den leuchtend roten Lippenstift noch deutlicher hervortritt. Ich streiche mir übers Haar, glätte die Enden und wuschele die Strähnen am Hinterkopf auf. Dann stütze ich die Ellbogen auf dem schmalen Regal unter dem Spiegel auf und presse meine Handballen gegen die Stirn. Plötzlich bin ich völlig erschöpft.
»O Gott.« Vielleicht helfen ja ein paar Vokalübungen. »O Gooooooooott!« Es fühlt sich gut an, also mache ich weiter. »O nein. O neeeeeeeeiiiiiiin!«
In diesem Moment geht die Tür auf. Eilig hebe ich den Kopf und tue so, als würde ich meinen Lippenstift auffrischen. Sie!
»Habe ich dich gerade weinen hören?«, erkundigt sie sich mit gespieltem Mitgefühl.
»Nein.«
»Oh, ich dachte, ich hätte jemanden ›O nein‹ rufen hören.«
»Ich war’s nicht«, erwidere ich fröhlich.
Offenbar muss sie gar nicht auf die Toilette, denn sie tritt neben mich und trägt einen Hauch Lipgloss auf. Unsere Gesichter könnten kaum verschiedener sein – ihres ist honigfarben und natürlich, meines dagegen geradezu gespenstisch bleich. Ich bin aufgetakelt wie eine Fregatte, und neben ihrem zierlichen Köpfchen wirkt meine Frisur plötzlich riesig. Ich bemühe mich, nicht hinzusehen. Schließlich wäscht sie sich die Hände.
»Das ist echt schwierig mit der Seife, sie soll sich schließlich nicht in der Fassung festsetzen.« Sie blickt auf ihre dezent gebräunten Hände. Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas an ihrem Finger funkeln und wende den Kopf. Sie biegt die Hände durch. An ihrem Ringfinger prangt ein Verlobungsring – ein rosa Solitär in Platin gefasst. Ich löse den Blick von dem Brillanten und sehe ihr ins Gesicht, auf dem ein Lächeln erscheint. »Tja … sieht ganz so aus, als wäre es doch zu spät für dich und Rob.«
Meine Eingeweide ziehen sich zusammen.
»Ihr seid verlobt?«, krächze ich, worauf sie ihre schönen Augen aufreißt und nickt. »Ihr wollt also heiraten, du und Rob?« Die Erkenntnis triff mich wie ein Eimer eiskaltes Wasser.
»Ich fürchte, ja.« Sie sieht in den Spiegel, löst ihr Zopfband und schüttelt ihre seidige kastanienbraune Mähne wie in der Shampoowerbung. »Ich weiß, was du jetzt denkst. Alle sagen, dass es sehr schnell ginge, aber Rob ist nicht davon abzubringen, deshalb treten wir nächsten Monat auf Bali vor den Altar.« Sie spritzt sich einen Hauch Parfum hinters Ohr und wendet sich mir mit schief gelegtem Kopf zu. »Deshalb findest du dich wohl besser damit ab und vergisst ihn … Schließlich hat er das auch getan.« Sie rauscht zur Tür und dreht sich noch einmal zu mir um. »Ciao!«, säuselt sie mit einem flüchtigen Winken.
Ich sehe ihr mit offenem Mund nach, während mir das Blut in den Adern gefriert. Ich kann es nicht glauben. Er wird heiraten? Vorletzten Monat war er noch mit mir verlobt gewesen. Mit ihr schafft er in nicht einmal drei Monaten, wozu er sich bei mir in fünf Jahren nicht durchringen konnte? Was soll das? Genügt es nicht, mir das Herz zu brechen? Muss er auch noch darauf herumtrampeln und abschließend einen Haufen draufsetzen? Großer Gott! Kopfschüttelnd tigere ich über den cremefarbenen Teppich und versuche zu begreifen. Es ist völlig ausgeschlossen, das würde er doch niemals tun … aber dieser Ring! Ich darf das nicht zulassen. Sie darf mir meinen zukünftigen Ehemann nicht einfach wegnehmen. Mir ist schwummrig, deshalb setze ich mich auf den Boden, aber auch das hilft nicht. Ich höre jemanden meinen Namen rufen, doch die Welt dreht sich immer noch wie wild. Schließlich hebe ich den Kopf und sehe Max über mir stehen.
»Ah, hier hängen die Coolen also ab.« Er setzt sich zu mir und lehnt sich mit dem Rücken gegen den raumhohen Spiegel. »Wie geht es dir?«, fragt er lächelnd.
Ich kneife die Augen zusammen. »Hier ist die Damentoilette. Was hast du hier zu suchen?«
»Ich versuche bloß, ein paar Weiber aufzugabeln.«
»Oh.« Ich muss grinsen, doch dann fällt mir dieses Miststück wieder ein. »Sie sind verlobt. Sie hat einen Scheißring am Finger.«
Er tätschelt mein Knie. »Komm, ich rufe uns ein Taxi.«
»Verlobt.« Ich schüttle den Kopf, worauf der Raum neuerlich zu verschwimmen beginnt. »Sie ist mit Rob verlobt.«
»Ach, das ist doch bloß eine dieser Lückenbüßergeschichten.« Max nimmt meine Hand und drückt sie. »So was hält nie. Hast du ihren Arsch gesehen?«
»Max! Die Frau trägt Größe 34!«
»Um die Titten herum vielleicht.«
Er sieht mich grinsend an. Ich weiß genau, dass er
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