Liebe auf den letzten Blick
Tür. Unser Taxifahrer kann das nicht sein. »Ja?«, frage ich verwundert.
Verbindlich lächelnd deutet er eine Verbeugung an. »Guten Abend. Herr Goldbach schickt mich. Ich bin Emil, Ihr Chauffeur.«
Nobel, nobel. Ich bitte Emil einzutreten. »Es dauert noch einen Moment.«
»Kein Problem«, antwortet Emil nachsichtig lächelnd. Aber reinkommen möchte er nicht. Er will lieber am Wagen warten.
»Otto lässt uns von einem Chauffeur abholen«, informiere ich Irma.
Die Braut ist inzwischen tatsächlich angezogen. Das schmal geschnittene Etuikleid ist von schlichter Eleganz und lässt ihre zierliche Figur noch schlanker wirken als sonst. Der rote Strubbelkopf, der gekonnt mit Haarwachs gestylt ist, lässt sie jung und frisch aussehen. Als einziger Schmuck funkelt ein unglaublich großer Diamantring an ihrer linken Hand.
»Du siehst einfach umwerfend aus«, stelle ich neidlos fest. »Und der Klunker! Alle Achtung.«
Irma streckt die Hand von sich weg. »Cartier! Otto lässt sich nicht lumpen.« Sie blickt mich mit feuchten Augen an. »Ach, Mathilde, obwohl es doch nur ein Arrangement ist, bin ich so aufgeregt. An Ottos Seite beginnt für mich ein neues Leben.«
»Mach dich locker«, zitiere ich sie. »Du warst doch schon mal verheiratet.«
»Pah!«, winkt sie ab. »Das ist doch schon sooo lange her. Ich war jung und dumm, und eigentlich will ich in diesem wichtigen Moment nicht an eine Jugendtorheit denken.«
Amelie gesellt sich zu uns, und ihre hellblauen Augen verdunkeln sich begehrlich, als sie den haselnussgroßen Stein an Irmas Finger erblickt. »Schau mal, Gustl«, flötet sie ergriffen. »Schööön, gell?«
Gustl scheint den Braten zu riechen, brummt nur ein vages »Hmm« und wechselt das Thema. »Ich glaub, meine Krawatte sitzt irgendwie schief.«
Amelie besteht darauf, dass wir vier einen Kreis bilden, uns an den Händen fassen und versprechen, auf ewig Freunde zu bleiben. Plötzlich muss Irma noch einmal aufs Örtchen, wobei sie sich mit dem Cartierklunker die teuren Stützstrümpfe zerreißt, ich entdecke an Gustls Hemdkragen rosa Lippenstift, und es vergehen zwanzig Minuten, bis wir endlich das Haus verlassen.
Otto hat für das Fest des Jahres das »Lehmanns« gebucht. Sämtliche Boulevardzeitungen der Stadt berichten schon seit Tagen über das Ereignis, und selbstverständlich hat Otto die schreibende Zunft auch zur Schampussause geladen. Im Grunde findet die Verlobungsparty ja nur für die Journalisten statt. Seine überraschende Verheiratung beeinflusst die Nominierung für den »Shakespeare« zwar nicht, aber ein paar wohlwollende Zeitungsartikel, gepaart mit hübschen Fotos, haben noch keinem Schauspieler geschadet.
Als Emil auf das »Lehmanns« zusteuert, erblicke ich eine beachtliche Menschenansammlung.
Irma schubst mich freundschaftlich an. »Paparazzi!«
»Das ist ja sooo aufregend!«, quietscht Amelie und zieht das tiefe Dekolleté ihres rosenbedruckten Kleids zurecht.
Ihrer Laune nach zu schließen, hat sie mindestens ein Kilo Gute-Laune-Bärchen verdrückt. Ich ärgere mich, nicht auch ein Tütchen vertilgt zu haben. Vielleicht hätten die Gummibärchen meine flatternden Nerven beruhigt und die aufkommende Hitzewallung verhindert oder sonst irgendwie gegen das verwirrende Blitzlichtgewitter geholfen, das uns beim Aussteigen empfängt. Zum Glück dauert es nur wenige Sekunden,dann tritt Otto an den Wagen und reicht Irma die Hand. Wie auf Kommando schwenken alle Fotografen ihre Objektive auf das Brautpaar. Wir sind plötzlich uninteressant, auch wenn Amelie noch so sehr an ihrer zerzausten Lockenfrisur nestelt und ihre Brüste rausstreckt. Ich muss lachen, als ich sehe, dass Otto ein beerenfarbenes Hemd unterm weißen Anzug trägt. Scheint, als wäre
ich
die bessere Hellseherin.
Nach einer gefühlten Ewigkeit beendet Otto die Show mit einem freundlichen: »Danke schön! Und jetzt würde ich Sie gern auf einen Drink einladen. Sie können in der Bar noch Fotos schießen.«
Mit Irma am Arm schreitet er über den roten Teppich ins Lokal. Wir dackeln hinterher. Was für ein Tag: Ich, Mathilde Opitz, eine unbedeutende Ex-Chefbuchhalterin, auf dem roten Teppich, verfolgt von Paparazzi!
Am Eingang erwartet uns der Herr des Hauses persönlich. Das Brautpaar begrüßt er mit Handschlag, uns nur mit einem flüchtigen Nicken.
Begleitet von bewunderndem Raunen, das natürlich dem prominenten Star und »der noch ganz passabel aussehenden Rothaarigen« an seiner Seite gilt, betreten wir
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