Liebe auf den letzten Blick
dich daran erinnern, dass der Mietvertrag auf drei Jahre festgeschrieben ist. Kündigen wir vorher, ist die Kaution futsch, weil der Haubesitzer die Wohnung grundsaniert hat. Du warst am Besichtungstag dabei und hast die endlose Schlange der Interessenten gesehen. Wir mussten uns auf diesen gemeinen und zudem illegalen Halsabschneiderhandel einlassen, um die Wohnung zu bekommen. Und ich bin als Hauptmieterin eingetragen, alle Kosten bleiben an mir hängen.«
Allein der Gedanke an meinen finanziellen Ruin beschert mir einen XXL-Schweißausbruch.
»Meinen Anteil bekommst du doch in drei Jahren zurück, wenn meine Lebensversicherung fällig wird. Das hab ich dir versprochen, und das halte ich«, versichert Irma mir.
»Ja, ja, vielen Dank auch«, antworte ich ungehalten, während ich mir ein Papiertaschentuch aufs schweißnasse Gesicht drücke. »Die Miete ist trotzdem zu hoch für uns drei. Gustl kann nicht mehr bezahlen, seine Rente ist zu niedrig. Und Amelie ist auch alles andere als eine Millionärin.«
»Ich kann Otto anpumpen!«, schlägt sie vor. »Als Sicherheit kann ich ihm die Lebensversicherung anbieten.«
Entrüstet sehe ich sie an. »Ich nehme kein Geld von fremden Männern.«
Irma lacht amüsiert. »Otto ist doch kein Fremder. Er ist ein Freund der Familie, hast du gestern selbst zu Sophie gesagt. Ich hab’s genau gehört.«
»Jaaa«, gebe ich zu. »Aber ich war betüddelt und stoned noch dazu! Jetzt bin ich wieder nüchtern. Und nüchtern betrachtet, hieße das, dass ich mir von Otto Geld leihe. Auf Schulden ist schlecht schlafen, hat mein Vater immer gesagt. Aber egal. Du willst also definitiv ausziehen und mich mit diesen beiden Turteltäubchen allein lassen?«
Schweigend blickt sie mich an. Ich kann förmlich sehen, wie ihr das schlechte Gewissen zu schaffen macht, doch damit muss sie allein klarkommen.
Plötzlich hellt sich ihre Miene auf. »Wie wär’s mit einem neuen Mitbewohner?«
»Wie jetzt?« Ich kann ihr nicht ganz folgen.
»Na, mit einem neuen WG-Mitglied wäre das Problem doch gelöst«, erklärt sie, erleichtert über ihren Geistesblitz.
Mir gefällt Irmas Vorschlag gar nicht. »Glaubst du wirklich, ich nehme einen wildfremden Menschen hier auf? Wie du sicher bemerkt hast, gibt es schon unter Freunden genug Zündstoff.Ich mag mir gar nicht vorstellen, welche Schwierigkeiten mit fremden Menschen einziehen würden. Nein, nein, das ist keine Lösung.«
»Verstehe«, sagt sie einsichtig. »Dann eben Bekannte oder Freunde.«
»Gute Bekannte, die Interesse haben könnten, fallen mir auf Anhieb nicht ein. Und mehr echte Freunde als euch drei habe ich nicht.«
6
Die Verlobungsfeier von Irma und Otto findet schon zwei Wochen später statt. Amelies Tarotkarten versprechen dem Brautpaar ein aufregendes, glückliches Leben. Selbstverständlich hat sie auch für unsere WG in die Zukunft geblickt. Alles wird gut!, lautet ihre Prophezeiung. Obwohl ich nicht an den Humbug glaube, hatte ich insgeheim gehofft, diese seltsame Scheinheirat würde sich als einer von Irmas verrückten Scherzen entpuppen. Wie damals, als sie mir glaubhaft versicherte, ein neues Leben beginnen zu wollen. Sie habe ihren Job gekündigt und wolle nun gemütlich im Sitzen ihr Geld bei einem Porno-Callcenter verdienen. Drei Tage später gestand sie mir lachend, sich über ihren Chef geärgert und nur eine unbezahlte Auszeit genommen zu haben. Jetzt, wo ich vor dem Vergrößerungsspiegel sitze und mich für die große Feier schminke, habe ich die letzte Hoffnung aufgegeben. Ich füge mich ins Unvermeidliche und wünsche meiner Freundin alles Gute.
»Hiiilfeee!!!«
Irma! Eindeutig. Ihr Organ ist unverkennbar. Vor Schreck verrutscht mir der Lippenstift. Das Ergebnis ist ein rot verschmiertes Kinn. Als ich das Malheur mit einem Papiertuch wegwische, ist die Make-up-Grundierung ruiniert. Super! Alles auf Anfang. Sofort bin ich schweißgebadet und müsste eigentlich auch noch mal duschen. Ich sollte mir einen entspannten Abend mit Pralinés und Portwein gönnen. Zu dem Verlobungsspektakel habe ich sowieso keine Lust. Nur Irma zuliebe überwinde ich mich. Sie behauptet doch tatsächlich, ich würde unterden Gästen einen neuen Mitbewohner finden, selbst Amelie hofft darauf.
Unschlüssig starre ich mich im Spiegel an, als der nächste Schrei ertönt.
»Mathildeee!«
Ob Amelie in den Karten plötzlich böse Vorzeichen gesehen und die Absage der Verlobungsfeier empfohlen hat? Vielleicht ist mir das Schicksal doch gnädig,
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