Liebe auf den letzten Blick
Turtelpärchen wie das fünfte Rad am Wagen.
»Ich lasse euch mal eine Weile allein und mische mich unters Volk«, verkünde ich.
Ein Glas in der Hand, schlängele ich mich durch die Gästeschar, nicke übermütig Stars und Sternchen zu und plaudere mit Irmas Kollegen. Ex-Kollegen, um genau zu sein. Ja, sie hat tatsächlich ihren Job gekündigt, »Chez Schorschi« ist Geschichte.
Gerry, der schwule Visagist, verdreht die dunkel umrandeten Augen. »Ach ja, ein reicher Lover, das wär’s. Ich würde meine Maria-Callas-Sammlung dafür geben«, seufzt er.
»Hat da jemand Callas gesagt?«, fragt eine warme Männerstimme.
Sie gehört einem breitschultrigen Mann, der neben uns in einer Gruppe von Schauspielern steht.
Gerry dreht sich auf den Absätzen seiner schwarzen Cowboystiefel zur Seite und blickt ihn an. »Ja, du Dummerchen«, antwortet er. »Möchtest du der großen Diva in meinem Chambre lauschen?«
»Wann?«, fragt der Callas-Fan.
»Wie wär’s mit jetzt gleich?«, antwortet Gerry, hakt den Fremden einfach unter und sagt: »Darf ich vorstellen: mein Ehegespons! Dieses Prachtstück hat mich letzten Monat geheiratet.Leider ist er ärmer als eine Feldmaus, dafür besitzt er prächtige
Kronjuwelen
.« Er kichert anzüglich und winkt mir noch mal kurz zu. »Tschaui, Tilda.«
»Tschaui, Gerry«, winke ich verblüfft zurück und wandere zurück zum Tisch meiner Freunde.
Als ich darauf zusteuere, halte ich einen Moment inne. Milius sitzt bei ihnen und unterhält sich angeregt mit Otto. Ob Karl ebenfalls schwul ist? Nein, er hatte doch mal eine Beziehung mit einer Kollegin, fällt mir ein.
Otto stellt uns einander vor.
»Freut mich, Kommiss…, äh, Entschuldigung, Herr Milius«, sage ich unbeholfen.
»Bitte, nennen Sie mich Karl«, sagt er, hält meine Hand länger als nötig.
Flirtet er etwa mit mir? Verwirrt entgegne ich: »Nur, wenn Sie mich Mathilde nennen.«
»Sehr gern.« Er deutet auf den Stuhl neben sich. »Setz dich, Mathilde, und erzähl von eurer WG. Irma hat es gerade erwähnt. Grandiose Idee, Wohngemeinschaft statt Seniorenheim. Könnte von mir sein. Im Prinzip befinde ich mich auch schon im Ruhestand.« Er lacht und sieht mir dabei tief in die Augen.
Karl Milius flirtet tatsächlich mit mir!
Die Erkenntnis jagt mir einen Schauer über den Rücken, der in einem Bauchkribbeln endet. Ich weiß gar nicht, wann mich zuletzt ein Mann auf diese Weise angesehen hat. Und es ist nicht irgendeiner, es ist Karl Milius! Ein charmanter, gutaussehender Mann in meinem Alter, dem ich mich ohne Zögern an den Hals werfen würde.
Verlegen greife ich nach meinem Glas. »Na ja, da gibt es eigentlich … ähm … nicht viel zu erzählen«, stottere ich zwischen zwei Schlucken.
Doch Karl lässt nicht locker. Er will genau wissen, in welchem Stadtteil die Wohnung liegt, interessiert sich für Größe, Zimmer- und Badezimmeranzahl.
Und je mehr er mich ausfragt, umso mehr verstärkt sich mein Eindruck, er wolle bei uns einziehen. Nachdem er sich auch noch erkundigt, ob in der WG geraucht werden darf und wir eine Putzfrau engagiert haben, bin ich sicher, einen neuen Mitbewohner gefunden zu haben. Vor Aufregung bekomme ich eine Hitzewallung, die meine Wangen flammend rot anlaufen lässt.
Irma, die während meiner Unterhaltung mit Amelie tuschelt, nickt mir grinsend zu.
Bedeutet dieses Grinsen etwa, dass sie mehr weiß als ich?
Noch während ich überlege, ob ich Karl einfach direkt darauf ansprechen soll, bringt der Kellner eine frische Flasche und füllt die Gläser. Wir stoßen auf Otto und Irma an, ich nehme einen großen Schluck und wende mich wieder Karl zu.
»Du hast also auch darüber nachgedacht, fürs Alter in eine WG zu ziehen?«, frage ich im Plauderton und freue mich über meine raffinierte Taktik.
»Welches Alter und welche WG?«
Eine sehr junge, sehr schlanke Frau tritt an den Tisch. Sie trägt ein schulterfreies goldenes Kleid, das mehr ent- als verhüllt. Ihr langes weißblondes Haar fällt glatt und glänzend auf die nackten Schultern. Das kindliche Gesicht wirkt ungeschminkt, lediglich der volle Mund glänzt feucht, und die langen Wimpern scheinen getuscht.
Karl erhebt sich und küsst die Schöne links und rechts auf die Wangen. »Darf ich vorstellen: Lola Milius.« Reihum macht er uns bekannt.
Als Karl ihr einen Stuhl an den Tisch zieht, bleibt Lola stehen.
»Ich will nach Hause«, mault sie und dreht dabei gelangweilt eine Haarsträhne um ihren Finger. »Morgen ist Unterricht, und ich
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