Liebe auf den letzten Blick
mit längerem braunem Haar, grauen Schläfen und Hornbrille. Sophies Vater, schätze ich, da er Baby Nora im Arm hält, die ein rosa Steppjäckchen und dunkelblaue Hosen trägt. Als sich unsere Blicke treffen, schießt mir eine Glutwelle ins Gesicht.
Es ist der Mann aus der Weinhandlung.
8
»Hallo Mathilde, ich hoffe, wir stören nicht«, begrüßt mich Sophie und deutet auf den Mann neben sich. »Das ist Fred Keller, ein Kollege, der auch an meiner Schule unterrichtet. Mathilde Opitz, meine liebe Nachbarin.«
Sophies Kollege lächelt. »Freut mich, liebe Nachbarin.«
Unsicher zupfe ich an meinen Haaren. Warum war ich nur zu faul, sie zu waschen? Etwas Make-up hätte sicher auch nicht geschadet. »Angenehm … Bitte nennen Sie mich Mathilde.«
»Gern, wenn wir das Sie weglassen.« Er streckt mir seine Hand entgegen. »Ich bin Fred.«
»Ähm … Ja, schön«, stottere ich und sehe ihn direkt an. Aber er scheint sich nicht an mich zu erinnern. Enttäuscht wende ich mich Luis zu. »Hallo Luis, wie war’s im Kindergarten?«
Sophie schubst ihren Sohn sanft an der Schulter. »Na, Luis, du wolltest doch etwas sagen.«
»Schööön«, sagt er, linst unter seiner blauen Kappe hervor und streckt mir eine kleine rosa Plastikente entgegen.
»Eine Badeente? Für mich?«, frage ich, froh darüber, mich dem kleinen Mann in Jeans und rotem Pulli widmen zu können.
Er nickt, schüttelt aber gleich darauf den Kopf, als habe er es sich anders überlegt.
»Für Irma?«
»Jaaa«, antwortet er mit glücklichem Gesichtsausdruck.
»Die trinkt gerade Kaffee. Sie freut sich bestimmt sehr,wenn du ihr das Geschenk selbst überreichst.« Ich trete zur Seite. »Bitte, kommt doch rein.«
Luis lässt Mamas Hand los und saust den Flur entlang, Richtung Irmas Zimmer.
»Sie ist in der Küche«, rufe ich ihm nach.
Er macht kehrt und rennt mit ausgebreiteten Armen durch die offene Küchentür und ruft laut: »Brumm, brumm, brumm!«
Wir folgen ihm, wobei mein Herz lauter klopft als Sophies Blockabsätze auf dem Eichenparkett. Eigentlich müsste man es hören.
Vermutlich sind Sophie und ihr Kollege nur zu höflich, um etwas zu sagen. Und mir fällt kein harmloses Smalltalk-Thema ein, also lächle ich das niedliche Baby an, das mich neugierig aus großen blauen Augen anstarrt. Beim letzten Besuch hat die Kleine ja nur geschlafen.
Als wir die Küche betreten, rettet mich Irma aus der Verlegenheit. »Hey, sind das die neuen Mieter?«, lacht sie, als Luis ihr die Plastikente überreicht.
»Ziehst du aus?«, fragt mich Sophie sichtlich erschrocken.
»Nein, nein«, beruhige ich sie. »Aber bitte, setzt euch doch. Etwas zu trinken?« Geschäftig räume ich unser Kaffeegeschirr in die Spüle. Die auf der Arbeitsplatte rumliegenden Haschischkekse verstecke ich eilig im Schrank. »Luis, einen Saft?«
»Ich will Uija-Saft«, antwortet Luis.
»Kann ich bitte Saft haben, heißt das«, verbessert Sophie ihn und erklärt mir: »Ich glaube, du hattest ihm Maracuja-Saft gegeben.«
Kaum haben alle Platz genommen, beginnt das Baby zu quengeln. Auf Freds Schoß sitzend, greift es mit den kleinen Patschhändchen nach der rosa Ente.
Irma gibt sie ihr. »Hier, meine Süße.«
Die Kleine gluckst zufrieden, was Luis überhaupt nicht gefällt. Ohne Vorwarnung reißt er seiner Schwester das begehrte Spielzeug aus der Hand, worauf Klein Nora jammervoll zu schreien anfängt.
Sophie holt ihren Schlüsselbund aus der Handtasche und versucht, ihre Tochter damit abzulenken. Doch die rosa Ente scheint viel interessanter, und sie schreit beharrlich weiter.
»Luis, wolltest du nicht einen Saft?« Fred bemüht sich zu schlichten. »Komm, wir helfen Mathilde. Die schafft das alleine nicht.« Er steht auf und streckt Luis die Hand hin, der sich tatsächlich ablenken lässt. »Wo sind denn eure Gläser?« Fred sucht meinen Blick und lächelt mir dabei verschwörerisch zu.
Es ist ein unwiderstehliches Lächeln, das ein heftiges Ziehen in meiner Magengegend auslöst, unmittelbar gefolgt von einer Hitzewallung. Was für ein Mann: fürsorglich und er kann gut mit Kindern umgehen. Und wenn ich an die Begegnung in der Weinhandlung denke, so scheint er auch meine Vorliebe für Portwein zu teilen. Es gibt ihn also tatsächlich, meinen Traummann – mit einem winzigen Fehler. Er ist viel, viel, viel zu jung.
»Oben, im mittleren Schrank«, antworte ich und begebe mich eilig zum Kühlschrank, damit er mein knallrotes Gesicht nicht bemerkt.
Aus den Augenwinkeln beobachte
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