Liebe auf den letzten Blick
mir leid, Gustl.« Irma gibt mir einen Kuss und winkt den anderen zu. »Ciao!«
»Tschüsschen, du rothaarige Ratte«, erwidert Amelie, die an der Arbeitsplatte mit einer Flasche Prosecco hantiert.
Wie eine professionelle Barfrau entkorkt sie die Flasche, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Sie gießt ein und stellt die Flasche zurück in den Kühlschrank. Ein Glas gibt sie Gustl.
»Für dich, mein Sternekoch.« Sie küsst ihn flüchtig auf die Wange, greift dann nach den anderen beiden Gläsern und stolziert zu mir an den Tisch.
»Nein, danke«, wiederhole ich.
Ungerührt stellt sie ein Glas vor mich. »Nun sei doch keine Spielverderberin, Mathilde. Wir haben was zu feiern. Genauer gesagt: Es gibt gute Neuigkeiten.«
»Tatsächlich?«, entgegne ich und starre missmutig ins Glas, rühre es aber nicht an.
Amelie lässt sich nicht irritieren. »Auf unser Wohl!«, prostet sie mir zu und nimmt einen großen Schluck. »Also …«, beginnt sie dann. »Wir waren doch heute auf der Bank.«
»Das weiß ich bereits.«
Mich trifft ein nachsichtiger Blick aus ihren sanften blauen Augen. »Du solltest einen Schluck trinken, das hebt die Laune.«
»Bei dir vielleicht«, gebe ich zurück.
»Wie du meinst.« Sie zuckt die Achseln. »Dann heitert dich aber garantiert diese Nachricht auf: Ich bekomme den Kredit!«
Ich bin platt. Als über sechzigjährige Frührentnerin mitkleiner Rente ist sie für Banken nun einmal keine optimale Kreditkandidatin. Es sei denn, sie hätte Aktien oder Immobilien oder Ähnliches als Sicherheiten anzubieten. Aber die hat keiner von uns. Mein Gefühl sagt mir, dass da etwas nicht stimmt. Irgendwas stinkt stärker als frisch gepresster Knoblauch.
»Was hast du angestellt?«, frage ich.
»Also, ich muss doch bitten«, wehrt sie ab. »Mein Bankberater hat eben ein Herz für mittellose Rentnerinnen. Außerdem kennt mich Herr Brettschneider seit Jahrzehnten und kann mich gut leiden.«
Ihre ausweichende Antwort macht mich hellhörig. »Soso, Banker mit Herz«, grummle ich. »Und wie viel hat dir der Herzige genehmigt? Hundert Euro Überziehungskredit?«
»Pah!« Sie wirft den Kopf in den Nacken. »Der Kreditrahmen ist so groß wie nötig. Du bekommst, was ich dir schulde, und es reicht auch noch für einen Makler und die Kaution unserer neuen Wohnung.«
Langsam wird mir der esoterische Glückskeks unheimlich. »Donnerwetter. Das wäre tatsächlich ein Grund zum Feiern. Hast du auch gut aufgepasst, dass sich im Kleingedruckten keine bösen Überraschungen verstecken? Rentenpfändung, beispielsweise?«
»Ich habe noch nicht unterschrieben«, verkündet sie, ganz nebenbei, während sie ihr Glas auffüllt.
Entgeistert starre ich sie an. Doch sie wird weder rot, noch erkenne ich das geringste Anzeichen, dass ihr diese Prahlerei vielleicht peinlich wäre. »Tja, dann träum schön weiter. Soweit mir bekannt ist, unterschreibt man den Antrag, und erst wenn der genehmigt wird, fließt Kohle. Andernfalls schaut man in die Röhre.«
Amelie hebt die feingestrichelten Brauen und schaut michherausfordernd an. »Ich bekomme eben eine Sonderbehandlung.«
»Sonderbehandlung?«, wiederhole ich und muss mir ein Lachen verkneifen. »Und wie muss ich mir das vorstellen? Darfst du eine Nacht im Tresorraum verbringen und wie Dagobert Duck in Geld baden?«
»Oh!« Sie blickt verträumt ins Leere. »Das würde mir gefallen. Bei Kerzenlicht, dazu ein Fläschchen Schampus …« Sie wendet sich zu Gustl. »Was meinst du, Gustilein, wäre das nicht lustig?«
»Hmm«, brummt Gustl, ohne das Karottenschnippeln zu unterbrechen.
»Wäre das nicht eine originelle Geschäftsidee?« Sie sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an.
»Wie jetzt?« Ich habe keinen blassen Schimmer, was sie meint.
»Na, in Geld baden.« Nachdenklich nippt sie an ihrem Prosecco. »Vielleicht sollte ich das Herrn Brettschneider vorschlagen. Das ist bestimmt gut gegen Depressionen. Man mietet sich für eine Nacht im Tresor ein und darf mit Münzen und Scheinen spielen.«
»Es tut mir ja leid, dass ich deine verwegenen Träume nicht teilen kann«, widerspreche ich. »Aber mich würde es eher noch depressiver machen, wenn ich nach so einem Geldbad die arme Kirchenmaus bliebe.«
»Ach so«, sagt sie. »Daran habe ich gar nicht gedacht. Na egal, dann eben nicht.« Sie schaut auf ihre Armbanduhr. »Er müsste eigentlich schon längst da sein.«
»Wer?«, frage ich.
»Herr …« Sie wird von der Türklingel unterbrochen. »Ah.
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