Liebe auf den letzten Blick
heraus.
Während Irma Kaffee kocht (und die Küche aufräumt!), springe ich unter die Dusche und schlüpfe in ein frisches Hemd und Jeans.
»Es gibt tolle Neuigkeiten«, beginnt Irma aufgeregt, als wir am sauberen Küchentisch sitzen. Das Geschirr ist allerdings nur in die Spüle umgezogen.
»Artikel über die Verlobungsfeier?«
Sie kramt eine Schachtel Zigaretten aus der Handtasche. »Nein, viel besser. Ich hab dir doch von dem Rollenangebot erzählt. Es handelt sich um die Neuverfilmung von
Der letzte Tango
in Paris. Charlotte Gainsbourg wird die Rolle spielen, die damals Maria Schneider berühmt gemacht hat. Und Otto hat man den Part des Liebhabers angeboten.«
»Ich erinnere mich an den Film. Marlon Brando war derHauptdarsteller«, erwidere ich. »Zwei Fremde treffen sich in einer Pariser Wohnung zum anonymen Sex.«
»Genau. Eine Alter-Mann-begehrt-junge-Frau-Story mit reichlich Skandalpotential.« Irmas Wangen röten sich vor Begeisterung. »Otto möchte die Rolle natürlich unbedingt bekommen. Marlon Brandos Stern war damals bereits am Sinken, aber nach diesem Film ging es wieder aufwärts für ihn.«
»Dann drücke ich ganz fest die Daumen. Aber nachdem Otto gerade für diesen Theaterpreis nominiert wurde, klappt es garantiert. Er hat einen guten Lauf. Du wirst sehen, zuerst bekommt er den Preis und dann die Rolle«, prophezeie ich zuversichtlich.
»Lass das bloß nicht Otto hören. Der ist ja sooo abergläubisch.« Irma trinkt einen Schluck Kaffee. »Wegen der Rollenvorbereitung sind wir auch nicht nach England gereist. Ursprünglich war geplant, dass wir uns vor der Preisverleihung Cornwall anschauen. Otto wollte mir die Drehorte des letzten Films zeigen, in dem er mitgespielt hat. Anschließend wollten wir dann nach London zu den Feierlichkeiten düsen. Aber jetzt muss Otto sich auf die Probeaufnahmen vorbereiten. Er ist total nervös und verträgt keinerlei Unruhe.«
»Habt ihr euch … gestritten?«, frage ich vorsichtig. In mir keimt Hoffnung. »Möchtest du wieder bei uns einziehen?«
»Nein, nein«, winkt sie ab. »Wir verstehen uns prächtig. Ich höre seine Texte ab, kümmere mich ums Haus, also ums Personal …« Sie steht auf, geht zum Fenster, öffnet es und zündet sich eine Zigarette an. »Eigentlich bin ich wegen meiner Sachen hier. Otto ist im Moment überempfindlich gegen jede Art von Störung, deshalb würde ich meinen Kram gern später abholen, wenn wir aus Frankreich zurück sind. Die Probeaufnahmen finden in Cannes statt, während des Filmfestivals.«
Irma macht es sich ganz schön einfach. Aber ich bringe es einfach nicht über mich, Streit mit ihr anzufangen. Sie sieht so glücklich und zufrieden aus, wie sie am Fenster ihren Glimmstängel genießt.
»Ist das okay für dich, Mathilde, oder hast du bereits einen neuen Mieter gefunden?«, fragt sie, als ich nicht antworte.
»
Einen?
«, entfährt es mir. »Einen brauchte ich letzte Woche. Inzwischen sind es
drei
!«
Sie stutzt einen Moment, bevor sie versteht. »Hast du etwa Amelie und Gustl wegen der nächtlichen Stöhnkonzerte rausgeworfen?«
»Stöhnkonzerte!«, wiederhole ich genervt. »Nett gesagt. Aber nein, ich habe ihnen nicht gekündigt. Die zwei möchten lieber alleine turteln. Die freudige Nachricht hat mir Amelie auf deiner Verlobungsparty als ›Betthupferl‹ serviert. Gustl behauptet sogar, Susanne habe mit ihm ›gesprochen‹ und ihm die Erlaubnis erteilt.«
Verdutzt sieht mich Irma an. »Scheiße«, flucht sie ganz undamenhaft. »Das tut mir wirklich leid, Mathilde. Soll ich nicht doch mit Otto reden, wegen des Geldes?«
Die Aussicht, meine Finanzkrise auf leichte Weise zu lösen, ist verlockend, behagt mir dennoch nicht. Die Risiken, ihre Beziehung durch solche Geldangelegenheiten zu belasten, sind einfach zu hoch. Wenn Otto ablehnt, aus was für Gründen auch immer, bekäme das Verhältnis zwischen den beiden schon vor der Hochzeit einen Knacks. »Danke, wirklich lieb von dir. Aber du weißt, dass ich prinzipiell nichts von Schulden halte.«
»Quatsch«, widerspricht sie kopfschüttelnd. »
Ich
würde mir doch das Geld leihen.«
Bevor ich ihr meine, zugegeben verquere, Einstellung erklären kann, klingelt es an der Wohnungstür.
»Erwartest du Besuch?«, fragt Irma.
»Na klar, die große Liebe meines Lebens«, antworte ich schnippisch und erhebe mich.
Vor der Tür steht Sophie mit ihrem kleinen Sohn Luis, an ihrer Seite ein älterer Mann, um die Fünfzig. Ein Künstlertyp in schwarzen Klamotten,
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