Liebe auf den letzten Blick
aufzuklären.«
»Eine etwas geschönte Wahrheit also«, entgegne ich amüsiert.
»Wieso? Du wolltest doch, dass ich positiv denke«, schiebt sie mir den Schwarzen Peter in die Schuhe.
Zu Hause angekommen, empfängt uns köstlicher Kuchenduft im Treppenhaus.
»Gustl hat gebacken«, freut sich Amelie. »Wunderbar, Schnaps macht hungrig.«
Als wir die Küche betreten, steht Gustl am Herd.
»Hallo Gustilein«, flötet Amelie. »Wir sind wieder dahaaa.«
Er dreht sich zu uns um, mustert Amelie eine Sekunde und holt Luft. »Bist du jetzt komplett durchgedreht?«, poltert erlos und schwingt wütend den Kochlöffel. »Eine Umzugsfirma hat angerufen. Hast du etwa einen Wagen bestellt, ohne mit mir zu reden? Es reicht! Ich mach nicht mehr mit. Du kannst allein ausziehen, wenn du unbedingt willst.«
Erstarrt lauschen wir seinem Wutausbruch.
»Aber … Gustilein!«, stottert Amelie dann. »Lass mich doch erklä…«
»Nix da. Spar dir deine Erklärungen«, unterbricht er sie schnaufend. »Aus und vorbei mit
Gustilein
. Außerdem wäre mir die Wohnung sowieso zu weit entfernt von Susanne.«
»Ach!« Erbost stemmt sie die Hände in die Dirndlhüften. »So plötzlich?«
»Ich hatte Zeit nachzudenken und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich lieber in unserer WG bleiben möchte, auch wegen Dana.«
»Wie du willst, Gustav!«, kontert sie beleidigt und stolziert aus der Küche.
Verdattert blicke ich ihr nach. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass Amelie die Packer bestellt hat?«, frage ich ihn.
»Doch!«, knurrt er, und an der tiefen Zornfalte zwischen seinen Brauen kann ich ablesen, wie wütend er ist.
»Hat sie aber nicht«, sage ich und kläre das Missverständnis auf. »Wann haben sie sich gemeldet?«
»Kurz bevor ihr reingeschneit seid«, antwortet er sichtlich betreten. »Woher soll ich wissen, worum es sich handelt, wenn eine Umzugsfirma nach Frau Specht verlangt? Ich dachte, sie kann es gar nicht mehr erwarten, endlich auszuziehen.«
Ich verkneife mir ein Lachen und erzähle ihm, was wir von der Hausmeisterin erfahren haben. »Der Umzug ist also erst mal verschoben, möglicherweise sogar komplett gestrichen.«
»Meinst du, sie verzeiht mir?«, fragt Gustl.
»Na klar!«, sage ich zuversichtlich. »Sonst wär’s mit der Liebe nicht weit her, oder?«
Gustl atmet erleichtert auf. »Ich werde mit ihr zur Polizei marschieren. Den Schmierlappen bringen wir hinter Gitter«, verkündet er und verlässt die Küche. Eine Sekunde später ist er wieder da.
»Das hätte ich in der Aufregung beinahe vergessen«, sagt er. »Fred war kurz da. Ich soll einen lieben Gruß ausrichten. Er war mit der Abschlussklasse auf Klassenfahrt.«
Mein Herz macht einen Freudensprung. Er hat mich nicht vergessen.
»Und?«, frage ich.
»Er ist oben, bei Sophie«, antwortet Gustl im Weggehen.
Natürlich. Bei Sophie.
18
Es folgen fünf Nächte, in denen Amelie und Gustl sich geräuschvoll versöhnen. Sie nennt es »Liebesgeflüster«. Vermutlich hören Dana und Moritz deshalb bis spät in die Nacht laute Musik. Ich laufe mit dunklen Augenringen durch den Tag, und ein Nachbar hat sich auch schon beschwert. Fehlt nur noch, dass Cengiz uns beim Hausbesitzer anschwärzt.
Freitagmorgen liege ich vollkommen erschöpft in den Kissen, als hätte ich die Nacht in einer 60-plus-Disco durchgetanzt. Aber, was soll’s. Hauptsache, unsere WG bleibt zusammen. Ausschlafen kann ich, wenn ich tot bin. Und wen kümmert schon mein Aussehen? Den Kunstlehrer jedenfalls nicht, der ist nämlich nicht wieder aufgetaucht. Amelie und Gustl haben ohnehin nur Augen füreinander. Und die Kinder, sofern man sie so nennen will, sind sowieso mit anderen Dingen beschäftigt.
Träge schäle ich mich aus dem Laken. Seit Tagen lähmt tropische Hitze die Stadt und raubt mir zusätzlich den Schlaf. Ich schlüpfe in ein luftiges Trägerkleid, das ich wegen des gewagten Dekolletés nur zu Hause trage, und schlurfe gähnend ins Bad.
Die Tür ist nicht abgeschlossen. Aber seit ich das Liebespärchen unter der Dusche ertappt habe, öffne ich sie immer einen kleinen Spalt und rufe: »Jemand da?«, bevor ich eintreten. Niemand da.
Ich nehme eine ausgiebige Dusche und verdränge mein schlechtes Gewissen. Moritz ermahnt uns ständig, Wasser zu sparen. Ich würde ja gern mit ihm in die Umweltrettungsschlachtziehen, aber unausgeschlafen bin ich zu nichts nutze. Um wach zu werden, brauche ich viel Wasser.
Einigermaßen erfrischt verlasse ich die Nasszelle und begegne
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