Liebe auf den letzten Blick
Stimme zu uns in die Küche. Kurz danach erscheint sie mit dem schnurlosen Telefon in der Hand. »Seid ihr alle schwerhörig?«, fragt sie grinsend.
»Ja!«, antwortet Amelie mit ernster Miene. »Das sind nun mal die negativen Seiten, wenn man mit lauter Alten in einer WG lebt. Was gibt’s denn so Dringendes?«
»Ähm … Tut mir leid, Amelie«, entschuldigt sich Dana stammelnd. »War nicht so gemeint. Da ist eine Umzugsfirma dran. Die Dame behauptet, du würdest auf ihren Anruf warten.« Sie hält ihr den Apparat hin.
Amelie schnappt sich das Gerät, presst es an ihren Busen und stößt noch einen triumphierenden Freudenschrei aus, bevor sie die Küche verlässt.
»Zieht dein Vater jetzt doch aus?«, fragt Moritz und himmelt Dana an. Sein blutendes Knie scheint er vollkommen vergessen zu haben.
Sie lächelt ihn an und zuckt die schmalen Schultern. »Keine Ahnung.« Fragend schaut sie auf Moritz’ Knie und fragt dann mich: »Bist du auch verletzt?«
»Nein, nur völlig übermüdet, weil hier Tag und Nacht rumgelärmt wird«, antworte ich ungewollt mürrisch.
Verlegen zieht Dana einen Haargummi vom Handgelenk und bindet ihre Mähne zu einem Pferdeschwanz. »Es ist unsere Musik, oder?«, fragt sie.
»Na ja, ein bisschen laut ist sie manchmal schon«, gestehe ich.
Als habe ich sie bei etwas Verbotenem erwischt, blickt Dana auf ihre Füße. »Kommt nicht wieder vor.«
»Schon gut«, entgegne ich. »Manche Songs gefallen mir. Und wie du vorhin so treffend bemerkt hast, hören Oldies nicht gut, ich schon lange nicht mehr, und somit wird sich das Problem irgendwann von selbst erledigen.«
Dana und Moritz blicken sich konsterniert an, bis sie den Scherz begreifen und erleichtert kichern.
»Du könntest mir allerdings einen Gefallen tun und meineFlipflops für mich besorgen«, wende ich mich an Dana. »Sonst stehe ich hier tatsächlich noch bis Weihnachten.«
»Sofort.« Mit wippendem Pferdeschwanz eilt sie davon.
Moritz sieht ihr nach. »Ich hätte da einen Vorschlag, wie wir das Problem beheben könnten«, sagt er, als Dana außer Sichtweite ist.
»Ich höre. Aber leg einen Zahn zu, mir schlafen nämlich gleich die Beine ein.«
»Was ist denn hier los?«
Gustl, frisch geduscht mit nassen Haaren, in hellen Sommerhosen und einem hellblauen Polohemd, betritt die Küche. Erstaunt blickt er zu Moritz, der wegen seines verletzten Knies nun halb gebückt und mit spitzen Fingern die letzten nassen Tücher einsammelt.
Ich ringe mir ein schiefes Lächeln ab. »Amelie würde sagen: Scherben bringen Glück.«
Als hätten wir sie gerufen, erscheint sie im Türrahmen. »Großes Glück!« Sie strahlt uns an. »Also, hört zu. Der Hausinger …«
Endlich bringt mir Dana die Flipflops. »Sorry, hat ’ne Weile gedauert«, sagt sie. »Bei dir ist alles sooo ordentlich, da wollte ich nicht rumwühlen. Deshalb habe ich welche aus meinem Zimmer geholt. Größe vierzig. Passt das?«
»Ja, ich hab neununddreißig. Danke. Hauptsache ich kann endlich hier weg.« Seufzend steige ich in die Schuhe.
Amelie klatscht in die Hände. »Alle Mann hinsetzen und Ruhe, es ist Krimizeit.«
»Aha!«, meldet sich Gustl zu Wort. »Hab’s doch gewusst, dieser Schmierlappen ist ein Betrüger. Wenn einer mit Toiletten handelt, ist das ein Griff ins Klo.«
»Sehr treffend bemerkt, Gustilein«, entgegnet Amelie und fordert uns erneut auf, Platz zu nehmen.
Die Kinder setzen sich gehorsam. Gustl braucht erst noch einen Kaffee, um der Aufdeckung des Skandals zu lauschen. Doch die Maschine ist noch nicht einmal angeschaltet, und so muss er sich gedulden. Ich ergreife die Gelegenheit, um mir noch schnell die saftbespritzten Beine abzuduschen.
Als ich zurückkehre, ist der Tisch mit Tassen gedeckt und auch der Kaffee ist durchgelaufen.
»Also«, beginnt Amelie, die mit geröteten Wangen vor dem Tisch steht. »Der Hausinger heißt Karl Pfeffer und …«
Die Türklingel schrillt in ihren Enthüllungsbericht.
»Verdammt noch mal!«, flucht sie. »Wer zum Teufel ist das schon wieder?«
Mit großen Augen bestaunt Gustl sein Gummibärchen. Derartig unflätiges Benehmen kennt er nicht von ihr.
Ich kann mir einen Scherz nicht verkneifen. »Herr Pfeffer, der dir dein Geld zurückbringen möchte?«
Amelie sendet mir einen bösen Blick. »Wie bist du denn drauf?«
Die Gelegenheit, eine kleine Andeutung zu machen, kann ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. »Ich bin vor allem unausgeschlafen.«
»Nimm Baldrian, wenn du Schlafstörungen hast«,
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