Liebe auf den letzten Blick
entgegnet sie schnippisch.
Moritz schlägt vor, die Tür zu öffnen.
»Moment!« Amelie hebt die Hände. »Ich erwarte niemanden.« Sie sieht in die Runde. »Ihr vielleicht?« Wir verneinen, und sie bestimmt, dass wir in diesem Fall nicht öffnen.
Im selben Moment schrillt es erneut.
Ohne mich um Amelies Protest zu kümmern, stehe ich auf und eile an die Tür, wo jemand zum dritten Mal stürmisch auf den Klingelknopf drückt.
»Bin ja schon da«, rufe ich beim Öffnen und verstumme überrascht.
Fred lächelt mich an, als freue er sich, mich zu sehen. Ihn habe ich nun wirklich nicht erwartet. Genauso wenig wie Luis, der unausgesetzt weiterklingelt.
»Hallo Mathilde«, begrüßt Fred mich und ermahnt Luis: »Jetzt ist es genug.«
Der Kleine lässt von der Klingel ab und strahlt mich an. »Mathinde, bist du zu Hause?«
Ich verkneife mir ein Lachen. »Schau mal in meinem Zimmer nach, ob ich da bin. Du weißt ja, wo das ist.«
»Jaaa«, lacht Luis und möchte sich an mir vorbeidrängeln.
Fred hält ihn am Arm fest. »Moment«, sagt er und blickt mir in die Augen, »vielleicht hat Mathilde gar keine Zeit.«
Betört erwidere ich seinen Blick. Wieso muss dieser Mann so verdammt gut aussehen? Die schwarzen Klamotten, das etwas längere Haar noch feucht von der Morgentoilette, der frische, leicht holzige Rasierwasserduft und dazu dieses umwerfende Lächeln. Oder ist das nur die verklärte Sicht der alten Scheune? Gleichzeitig wird mir bewusst, dass
ich
alles andere als gut aussehe. Ich trage ein altes zerknittertes Kleid und natürlich auch kein Make-up. Fehlt nur noch, dass ich vergessen habe, die Duschhaube abzunehmen. Fahrig greife ich mir an den Kopf. Nein. Keine Plastikhaube. Ganz verkalkt scheine ich also noch nicht zu sein.
Lässig überspielt Fred meine Verwirrung. »Ich hoffe, wir kommen nicht ungelegen?«
»Ähm … Nein …«, antworte ich. »Ich meine … Nette Überraschung«, stottere ich und trete einen Schritt zur Seite. »Kommt doch rein. Die WG hat sich in der Küche versammelt, wo uns Amelie gerade eine spannende Geschichte erzählen will.«
Luis saust mit einem überdrehten »Geschiiichte« voran.
Fred berührt mit seiner Hand meinen Arm. »Sekunde.«
»Ja?« Gespannt bleibe ich stehen. Der unerwartete Hautkontakt jagt einen Glücksschauer durch meinen Körper. Gleichzeitig spüre ich, wie eine Hitzewelle meine Wangen rot färbt.
»Sophie möchte dich bitten, für ein, zwei Stunden auf Luis aufzupassen«, sagt er leise.
Ein Kopfsprung in die eiskalte Isar hätte mich auch nicht stärker abkühlen können. Wie konnte ich mir nur einbilden, er wäre meinetwegen hier?
»Ähm … Ja, natürlich«, versichere ich ernüchtert und schelte mich ein dummes altes Weib.
»Der Kindergarten ist wegen einer grassierenden Magen-Darm-Grippe geschlossen«, redet Fred weiter. »Ich würde Luis ja gern selbst in Obhut nehmen, habe aber gleich drei Stunden Sportunterricht, und auf Sophies Stundenplan stehen zwei Stunden Kunstunterricht. Nach elf würde sie ihn wieder abholen.«
»Und das Baby?«, frage ich, ganz fürsorgliche Großmutter.
»Sophie bringt die Kleine auf dem Weg in die Schule zur Kinderkrippe. Torsten ist zwar oben, schreibt aber an seiner Promotion und kann sich deshalb nicht um Luis kümmern.«
»Aha«, murmle ich und frage mich insgeheim, wie das alles zusammenpasst.
Fred steht um halb neun, frisch geduscht mit nassen Haaren vor meiner Tür. Offensichtlich kommt er aus dem Dachgeschoss, woraus ich schließe, dass er dort übernachtet haben muss. Aber Torsten wohnt anscheinend auch noch da. Führen sie etwa eine dieser modernen Patchwork-Beziehungen? Oder noch wilder, eine Ménage-à-trois?
»Ginge das, Mathilde?«, dringt Freds warme Stimme in meine wirren Gedanken.
»Natürlich«, antworte ich und vermeide, ihn anzusehen. »Möchtest du auf eine Tasse Kaffee hereinkommen?«
»Liebend gern«, behauptet er und sagt im gleichen Atemzug: »Aber ich muss leider los. Ich will mich nur noch von Luis verabschieden.«
»Verstehe«, antworte ich möglichst freundlich, während wir dem Kleinen hinterhergehen. »Mach dir keine Sorgen, Luis wird sich bestimmt wohl fühlen.«
Wir finden ihn in der Küche.
»Du bist nicht im Zimmer«, grinst er mich an.
»Stimmt«, lache ich zurück.
Fred verabschiedet sich von Luis mit einem coolen Gib-mir-Fünf-Handschlag und mit einem schlichten »Danke, Mathilde, ich finde allein raus« von mir.
»Jederzeit«, entgegne ich, zwinge mich, ihm nicht
Weitere Kostenlose Bücher