Liebe auf den letzten Blick
ist los?« Gustl hebt das T-Shirt auf und stellt die Geschirrspülmaschine an.
»Nichts, ich muss nachdenken«, wiegle ich ab. »Wo hast du die Schokolade versteckt?«
Noch ehe Gustl etwas erwidern kann, taucht Moritz mit dem Telefon auf. »Irma möchte dich sprechen.«
Beunruhigt nehme ich Moritz den Apparat aus der Hand. »Alles in Ordnung?«
»Reg dich ab«, antwortet sie. »Trotzdem möchte ich dich bitten, herzukommen.«
»Katastrophenalarm?«
»Nein, entspann dich.« Ihre Stimme klingt tatsächlich ruhig. »Aber wir suchen immer noch nach diesen dämlichen Unterlagen, finden sie aber in Ottos Chaos nicht. Und du hast für solche Sachen doch ein gutes Auge. Würdest du bitte herkommen und uns helfen?«
»Gibt es Schokolade und Portwein?«, entgegne ich.
»Wir feiern hier nicht gerade eine Party, falls du das meinst.«
»Trotzdem brauche ich jetzt ein, zwei Gläschen Portwein und am besten noch ein, zwei Marzipanpralinés«, kläre ich sie in sachlichem Ton über meinen Zustand auf. »Erst dann laufen meine kleinen grauen Zellen zu Hochform auf.«
»Ha!« Irma stößt einen trockenen Lacher aus. »Wer hätte das gedacht: Die Chefbuchhalterin süffelt.«
»Ex-Chefbuch…«
»Meinetwegen auch Ex«, unterbricht sie mich. »Was ist jetzt, kommst du?«
»Ich war noch nicht unter der Dusche«, antworte ich. »Also gib mir eine Stunde.«
»Nimm dir ein Taxi, ich zahle«, sagt Irma, nennt mir die Adresse und verabschiedet sich.
Ich will sie noch daran erinnern, dass Taxis in ihrem Budget nicht vorgesehen sind, doch da ist die Verbindung bereits unterbrochen.
Mit der U-Bahn von Gern nach Bogenhausen zu fahren dauert etwa dreißig Minuten. Doch ich bin viel zu neugierig auf Ottos Villa, um mir so viel Zeit zu lassen. Also setzte ich mich tatsächlich in ein Taxi.
Als der Wagen in der ruhigen Straße vor Ottos Domizil anhält, glaube ich im ersten Moment, eine falsche Adresse notiert zu haben. Doch dann erinnere ich mich, dass Irma den kleinen Park gegenüber schon mal erwähnte, der nach Shakespeare benannt wurde. Deshalb musste Otto das Haus einfach kaufen, hat sie damals erzählt.
Staunend und immer noch ungläubig stoße ich den unverschlossenen weißlackierten Eisentorflügel auf. Dahinter befindet sich ein zweigeschossiges weißes Gebäude mit hohen Sprossenfenstern. Es ist ein geradliniger Bau im Bauhausstil, dessen Eingang von zwei mächtigen blau blühenden Hortensienbüschen flankiert wird. Der eigentliche Garten ist von der Straße aus nicht einsehbar und sicher noch viel schöner als der Vorgarten. Soweit ich das beurteilen kann, ist ein Anwesen in dieser Gegend Millionen wert. Hier wäre Irma tatsächlich gut versorgt.
Ins Haus selbst gelangt man über fünf steinerne Stufen, die zu einem wuchtigen hellgrauen Eingangsportal führen. Rechts daneben ein schwarzer Klingelknopf inmitten einer blankgeputzten Silberrosette. Der Name fehlt.
Nach dem Klingeln höre ich Schritte, die schwere Tür öffnet sich – und Amelie strahlt mich an.
»Na endlich. Herein mit dir.« Sie tritt zur Seite und weist mit der Hand in eine ziemlich beeindruckende Diele. Eigentlichist es eine Halle, halb so groß wie unsere gesamte Wohnung, also mindestens siebzig, achtzig Quadratmeter, mit Fischgrät-Parkettboden, holzvertäfelten Seitenwänden und einer Treppe, die ins obere Stockwerk führt.
»Na, was sagst du?«, fragt Amelie. »Allererste Sahne, was? Und: only good vibrations – von mir höchstpersönlich ausgependelt.«
»Mir bleibt die Spucke weg«, sage ich überwältigt.
Was für eine Traumvilla. Hier könnte sich meine Großfamilie nach Herzenslust vermehren. Schade, dass sie nicht mir gehört, seufze ich innerlich.
»Warte, bis du den Rest des Palastes gesehen hast.« Amelie schiebt mich durch die Halle zur Treppe. »Irma sucht in Ottos Ankleidezimmer nach den Unterlagen.«
»Ankleidezimmer?«, wiederhole ich konsterniert.
»Mit Office und Salon sind wir durch«, erzählt sie auf dem Weg in die erste Etage. »Leider erfolglos. Aber vielleicht finden wir ja in seiner Garderobe etwas Brauchbares. Übrigens, in der Garage steht ein alter James-Dean-Porsche. In Knallrot.«
Ankleide! Office! Salon! Und ein wertvoller Oldtimer! Mannomann, denke ich mir, als ein gellender Schrei ertönt. Amelie starrt mich erschrocken an, bevor sie losstürmt. Besorgt eile ich hinterher.
Zu besagter Ankleide gelangen wir durch ein im Kolonialstil möbliertes Schlafzimmer, das ein dunkel geflammtes Bambusbett
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