Liebe auf den letzten Blick
wurden meine Träume aber nie erfüllt – trotz Irmas kreativer Hände.
Irma erwartet mich bereits am Empfangstresen und geleitet mich durch das silber-weiße Ambiente aus Glas und Stahl. Dabei begrüßt sie im Vorbeigehen eine Kundin, die sich bitter beschwert, keinen Termin bei ihr bekommen zu haben, und mich giftig beäugt.
An Irmas versteckt liegendem Frisierplatz sinke ich in einen bequemen Ledersessel, während sie mir ein Handtuch umlegt und den Umhang darüber befestigt. »Und, bereit für eine Veränderung?«, fragt sie.
»Ähm … Veränderung?« Unsicher blicke ich sie über den silbergerahmten Spiegel an. »Also eigentlich …«
Entschlossen greift sie mit den Händen in mein Haar. »Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt sie, zupft mir dabei Strähnchenin die Stirn, schiebt eine Seite aus dem Gesicht und wieder nach vorn.
»Ungefähr fünfzehn Jahre«, antworte ich, ohne lange überlegen zu müssen. »Warum?«
»Weil du seitdem mit diesem langweiligen Bob rumläufst.«
»Den du mir seitdem schneidest!«, kontere ich und lege schnell noch ein Kompliment drauf. »Zu meiner vollen Zufriedenheit.«
»Danke, danke«, grinst sie geschmeichelt. »Aber irgendwann wird jeder Style fade, egal wie perfekt der Schnitt …« Sie stockt, als suche sie nach den richtigen Worten.
»Ja?
»Ich finde«, beginnt sie und zieht das Waschbecken zu sich. »Du trägst viel zu dunkle Klamotten, und der strenge Bob ist auch unvorteilhaft. Du solltest dich dringend neu erfinden. Schaff dir ein paar farbige Shirts an oder wenigstens mal einen roten Schal. Ab einem gewissen Alter braucht frau ein bisschen Pep.«
Oh, oh! Wenn Irma »Pep« sagt, schrillen bei mir die Alarmglocken. Im Gegensatz zu mir verändert sie ihre Haarfarbe nämlich jedes Halbjahr. Und sobald das Haar auch nur fünf Zentimeter nachgewachsen ist, lässt sie sich von einem Kollegen einen neuen Schnitt verpassen.
»Und was genau bedeutet
peppig
?« Meine Stimme kickst, als habe sie mir eine Vollglatze angedroht.
»Vertrau mir«, flüstert sie und zwinkert mir zu. »Ein anderer Schnitt, mit dem du dich um mindestens zwanzig Jahre jünger fühlen und um zehn Jahre jünger aussehen wirst.«
»Hilft ein peppiger Haarschnitt auch gegen trockene Haut, lästige Hitzewallungen und überflüssige Pfunde?«
»Selbstverständlich!«, antwortet sie voller Überzeugung. »Ich leide jedenfalls nicht unter der Menopause.«
Zwei Stunden später starre ich ungläubig in den Spiegel. Irma hat den »faden« Bob stufig geschnitten, mir jugendliche Ponyfransen und eine farbauffrischende Spülung verpasst. Das Haar schimmert jetzt golden-haselnussbraun und lässt meine grün-braunen Augen leuchten. Ich fühle mich tatsächlich, als sei ich dem Jungbrunnen entstiegen – zumindest habe ich einen Schluck daraus getrunken.
Zur Feier des Tages spendiere ich mir noch ein professionelles Make-up bei Gerry, der zufällig einen Termin frei hat.
»Ach, wie schön, die wunderbare Tilda«, begrüßt mich der schwarz gekleidete Visagist überschwänglich. Erstaunt hebt er die wohlgeformten Brauen und lässt den Blick über mein Haar wandern. »Irmchen, du kleine Artistin, hast mal wieder gezaubert, wie? Haselnuss, mit einem winzigen Schlückchen Goldkupfer. Einfach spek-ta-ku-lär!«
»Danke Gerry-Schatz.« Sie busselt ihn auf die zart rougierte Wange. »Und jetzt sind deine Zauberkünste gefragt.«
»Du scherzt, Teuerste«, winkt er mit einer ausladenden Bewegung seiner silberberingten Hände ab. »Gegen dich bin ich nichts weiter als ein bedauernswerter Lurch.«
Zwei, drei Minuten lang wetteifern sie mit zuckersüßen Komplimenten, bis sich Irma schließlich verabschiedet.
»So, Schätzchen!« Gerry stellt sich hinter mich und betrachtet mich über den Spiegel. »Was darf ’s denn sein? Künstliche Wimpern, falsche Fingernägel und kussechter Lippenstift?«
Dankend lehne ich ab. »Dafür bin ich viel zu alt. Trotzdem, lieb von dir. Heute hätte ich gern nur ein schönes Tages-Makeup.«
»Meine Liiiebe«, antwortet er gedehnt. »Wir sind al-terslos. Weißt du, was Eiväna neulich zu mir gesagt hat, als ich ihr ein Kompliment zu ihrem guten Aussehen gemacht habe?«
»Meinst du Ivana Trump, die mit diesem Trump-Tower-Milliardär verheiratet war?«, frage ich ehrfürchtig.
»Selbige, selbige«, bestätigt Gerry. »Die Trampsche ist ja auch in unserem Alter und sieht aus wie das blühende Leben.«
Ich schätze Gerry auf Mitte Dreißig, aber er spricht grundsätzlich von
Weitere Kostenlose Bücher