Liebe auf den letzten Blick
Zimmer schnaufe ich empört vor mich hin und pfeffere die Tüte mit dem sündhaft teuren Kleid achtlos in die Ecke. Aufbrezeln und feiern sind das Letzte, wonach mir jetzt der Sinn steht. Und Amelies Weissagungen sind mir schnurzpiepegal. Ich muss mich erst mal beruhigen – mit Pralinés und Portwein.
Ich entledige mich der engen Jeans, ziehe die weiße Bluse aus, schlüpfe in ein olles Shirt und lasse mich mit der Pralinenpackung ins Bett fallen. Schon besser.
Nach diversen Schokotrösterchen und dem ersten Gläschen Portwein erinnere ich mich, dass wir vereinbart haben, einen Putzplan zu erstellen. Entschlossen greife ich nach Stift und Papier, die immer griffbereit auf dem Nachtisch liegen. Es muss doch möglich sein, dass vier Erwachsene dieses lächerliche Problem in den Griff bekommen.
Da wären Bad, Duschbad, Wohnzimmer und der Flur, in dem eigentlich nur gesaugt werden muss. Die Einteilung, wer, wann, wo mit dem Saubermachen an der Reihe ist, gestaltet sich im Grunde ganz einfach. Eine Arbeitswoche hat sechsTage, sonntags haben wir frei. Da Gustl unbedingt die Mahlzeiten für uns zubereiten möchte und sich auch noch für den Einkauf zuständig fühlt, verteilt sich die leidige Putzerei selbstverständlich auf uns Damen. Wenn jede von uns, jeden Tag einen Punkt erledigt, dürften die leidigen Arbeiten eine Kleinigkeit sein. Theoretisch.
Ich überlege gerade, wie man Irma dazu bringen könnte, wenigstens hin und wieder den Staubsauger anzuwerfen, als die Tür auffliegt und Amelie reinplatzt, aufgedonnert, als stünde ein großes Woodstock-Revival bevor. Sie hat sich in ein wallendes Patchwork-Kleid gezwängt und ihr üppiges Dekolleté mit einer Mischung aus Bändern und Ketten dekoriert. Die wilden blonden Locken sind mit bunten Federn geschmückt und die hellblauen Augen dunkelblau umrandet.
»Prösterchen!« Sie hält mir ein Glas Prosecco entgegen.
»Schon mal was von Anklopfen gehört?«
Unschuldig zuckt sie die Achseln und schaut sich im Zimmer um. »Herrenbesuch?«, fragt sie in gespielter Verwunderung. »Monsieur ist wohl schnell unters Bett gekrabbelt!«
Darauf antworte ich gar nicht erst.
»Dein Lover soll sich mal schnell was anziehen und du auch«, plappert sie weiter. »Das Essen ist fertig, der Tisch gedeckt, und die Getränke sind gekühlt. Gustl stand ewig in der Küche, hat dein Lieblingsgericht zubereitet, und du – du siehst übrigens sehr hübsch aus, mit der neuen Haarfarbe und dem Make-up! Wäre doch schade, damit im Bett liegen zu bleiben. Mit oder ohne Liebhaber.«
Ich hole Luft, um sie anzupflaumen, dass ich keinen Hunger habe, ändere meine Meinung aber im selben Atemzug. So naiv wie Amelie sich immer gibt, ist sie gar nicht. Immerhin schafft sie es, mir, ohne rot zu werden, ein schlechtes Gewissen einzureden und das Ganze noch in ein Kompliment zuverpacken. Ich muss zugeben, dass sie gar nicht so unrecht hat. Gustl gegenüber wäre es ziemlich gemein, das Essen zu verschmähen, ganz abgesehen von der Tatsache, dass ich mich selbst am meisten bestrafen würde. Denn so langsam gelüstet es mich nach etwas Deftigem. Schokolade allein macht anscheinend doch nicht glücklich. Jedenfalls nicht für lange Zeit.
»Ja, schon gut«, beruhige ich sie. »Dauert aber ein paar Sekunden. Eine alte Frau ist schließlich kein Düsenjet.«
»Sehr schön.« Sie lächelt zufrieden, wendet sich zum Gehen, dreht sich noch einmal um und sagt mit sanfter Stimme: »Übrigens, Irma hat inzwischen die Umzugskartons weggeschafft!«
Mist! Jetzt hat sie mir auch noch ganz elegant den Schwarzen Peter zugeschoben.
4
Im raffinierten kleinen Schwarzen, die einreihige Perlenkette umgelegt und auf schwarzen Secondhand-Pumps von Prada betrete ich die Küche.
Wie von Amelie angekündigt, ist alles vorbereitet. Auf Gustls rustikalem Holztisch aus seiner alten Wohnung liegt eine weiße Damastdecke. Darauf stehen glänzende Kristallgläser (aus Irmas Besitz) und poliertes Geschirr (das zartblaue von Amelie), flankiert von silbernem Besteck (aus meiner Aussteuer). Den Mittelpunkt bildet ein Schokoladenkuchen, auf dem sieben bunte Kerzen flackern. Wenn meine Freunde jetzt auch noch singen, fange ich an zu heulen.
Gustl weiß, wie sehr ich solche emotionalen Situationen hasse, klatscht kurz in die Hände und dirigiert uns mit einer Handbewegung zum Tisch. »Los, los, alle hinsetzen. Kaltes Essen schmeckt nicht.« Er nimmt seine weiße Schürze ab, richtet die dunkle Krawatte auf dem weißen Hemd und
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