Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
verletzen, hab ich ein paar Bissen gegessen.«
»Ein Glück für Sie, dass Sie keinen Hunger hatten«, seufzte Kibble, worauf Clarissa ihn forschend anschaute.
»Wieso?«
Nach kurzem Zögern meinte Kibble: »Ach, nicht so wichtig. Erzählen Sie mir lieber, was dann passiert ist.«
Clarissa überlegte, ob sie auf einer Erklärung bestehen sollte, nahm aber an, sie würde es früher oder später schon erfahren. Sie zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. »Das war alles. Ich hab ein bisschen von der Torte genascht und mich dann hingelegt. Ach ja, ich bekam Magenschmerzen und beschloss, ein bisschen zu schlafen. Ich dachte, wenn ich ein kleines Nickerchen halte, geht es mir nachher wieder besser.«
Kibble schwieg für einen kurzen Augenblick, dann hielt er einen Gegenstand hoch, den Clarissa zunächst nicht erkennen konnte. Als er das Teil behutsam auf ihre Nase setzte, war ihr alles klar: Ach du liebes bisschen, es war ihre Brille!
»Sie lag unter der Decke, als wir Sie hochhoben«, erklärte er. »Mit einem Buch aus der Bibliothek.«
Clarissa hätte im Erdboden versinken mögen. Sie beäugte ihn forschend, aber die Miene des Butlers zeigte keine Regung, weder Vorwurf noch Verärgerung. »Deshalb haben Sie die Türen zugestellt. Lord Mowbray weiß nicht, dass Sie eine Brille haben.«
Es war nicht wirklich eine Frage, trotzdem antwortete Clarissa ihm. »Nein. Er weiß nichts davon.« Sie senkte schuldbewusst die Lider.
Kibble nickte. »Wie lange haben sie die schon?«
»Ich hab sie am Tag vor unserer Hochzeit gekauft«, räumte sie kleinlaut ein.
»Ich dachte mir schon so etwas, weil Sie dauernd in Ihr Zimmer wollten«, bekannte Kibble. »Ist ja auch einleuchtend. Immerhin verfügen Sie über genug eigenes Geld, um eine zerbrochene Brille ersetzen zu können.«
»Das war gar nicht so einfach! In unserem Stadthaus in London ist Lydia ständig um mich herumgewieselt. Ich hab mich heimlich davongestohlen, als ich mit Lady Mowbray zur letzten Anprobe bei der Schneiderin war«, gestand Clarissa. »Zum Glück war in der Nähe ein Optikergeschäft.«
Kibble nickte erneut. »Wieso haben Sie Adrian den Kauf verheimlicht?«
Der Butler nannte ihren Mann lässig beim Vornamen und ließ den korrekten Titel weg, stellte Clarissa fest. Gleichwohl wusste sie, dass die beiden Männer ein besonderes Vertrauensverhältnis hatten, fast wie Vater und Sohn, folglich überraschte sie das nicht wirklich. Sie überlegte fieberhaft, was sie antworten sollte.
Als sie beharrlich schwieg, forschte Kibble: »Hat es damit zu tun, dass Sie Adrian heimlich mit Ihrer Brille beobachtet haben und ihn abstoßend finden? Wäre es Ihnen lieber, Sie hätten sein Gesicht nicht so deutlich gesehen?« Wieder sprach aus seiner Stimme nicht der leiseste Vorwurf, trotzdem fühlte Clarissa sich sofort miserabel.
»Um Himmels willen, nein! Das stimmt absolut nicht!«, ereiferte sie sich. »Adrian ist ein attraktiver Mann. Die Narbe in seinem Gesicht stört mich kein bisschen. Er hat wunderschöne braune Augen und einen sinnlichen Mund, und –«
Sie stockte und errötete verlegen.
»Sie lieben ihn«, sagte Kibble höchst zufrieden.
»Ja. Ich glaube schon«, räumte sie zaghaft ein.
Mit Brille hatte Clarissa kein Problem, das Lächeln zu erkennen, das über Kibbles Gesicht glitt. Der Butler hing offenbar sehr an Adrian und schien erleichtert, dass es der jungen Ehefrau nicht anders ging.
Sie lächelten sich einen Moment an, dann fragte Kibble stirnrunzelnd: »Aber weshalb verstecken Sie Ihre Brille vor ihm?« Als sie nicht antwortete und seinem Blick auswich, forschte er: »Tun Sie es etwa seinetwegen?«
»Ja«, antwortete sie unglücklich, weil es nicht ganz stimmte. Sie wollte letztlich nicht, dass er sie mit Brille sah, weil er sie dann womöglich hässlich fand. Und wenn er sie hässlich fand, mochte er sie vielleicht nicht mehr. Das durfte auf gar keinen Fall passieren.
Kibble schüttelte milde verständnislos den Kopf. »Glauben Sie nicht, dass es ihn sehr glücklich machen würde, wenn er wüsste, dass Sie ihn sehen können und ihn trotzdem lieben? So wie es jetzt ist, geht er davon aus, dass Sie nicht wissen, wie er aussieht.«
Clarissa hob verwirrt den Blick. »Was sagen Sie da?«
»Verstehe ich das richtig, Sie verstecken die Brille, weil Sie Angst haben, dass er unter einem Minderwertigkeitskomplex leidet?«
»Adrian und Minderwertigkeitskomplexe?«, fragte sie bestürzt. »Nein. Wieso sollte er Komplexe haben, wenn ich
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