Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
kein bisschen auf ihr neues Zuhause gefreut. Am liebsten hätte sie ihre Zelte auf dem Ball aufgeschlagen, sinnierte er kopfschüttelnd.
Adrian hätte gern gewusst, was Clarissa bedrückte, er war jedoch zu feige, sie danach zu fragen. Seine größte Sorge war, dass sie die schlimme Narbe in seinem Gesicht gesehen hatte und ihn deswegen abstoßend fand. Es hätte zu Lydia, diesem Biest, gepasst, dass sie für Clarissa eine Brille auslieh, damit das Mädchen ihn heimlich beobachten konnte. Dann wusste sie logischerweise, dass sie einen hässlichen Krüppel zum Mann hatte. Wenn das der Fall war, dann konnte er sich sein Lebensglück abschminken, stöhnte er stumm in sich hinein.
In den letzten Wochen hatte er sich in glühenden Farben ihre gemeinsame Zukunft ausgemalt und von einem glücklichen Familienleben geträumt. Ein Haus voller Liebe und Lachen, mit fröhlichem Kindergeschrei, mit Clarissa, die ihn liebte, die ihn morgens mit einem strahlenden Lächeln begrüßte und mit ihm wundervolle Tage und stürmische Nächte teilte …
Das alles schien ihm mit einem Mal zu entgleiten, allein die Vorstellung war wie ein bohrender Stich ins Herz. Und das Fatale war, er traute sich nicht zu fragen, was ihr auf der Seele brannte. Er mochte sie auch nicht zur Hochzeitsnacht nötigen und womöglich riskieren, von ihr abgewiesen zu werden. Von seiner Skepsis getrieben, hatte er beschlossen, sie heute Nacht in Ruhe zu lassen. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, hatte er sich eingeredet; er wollte Verständnis zeigen und sie erst einmal ausschlafen lassen. Morgen war auch noch ein Tag. Wenn es bloß an der ganzen Aufregung um die Hochzeit und den Umzug lag, war Clarissa dann bestimmt viel ausgeglichener. Vielleicht konnte er sie dann verführen. Und wenn nicht …
Scheiß-Narbe, fluchte er, die Verwundung hatte ihn zu einem hässlichen Monster gemacht. Er wünschte, sie fände ihn attraktiv, und dass sie ihn, auch mit Brille, weiter mit verliebten Augen sah, dass sie sich von ihm angezogen fühlte und seinem Charme erlag. Bei ihr hatte er sich immer gefühlt, als schwebte er drei Meter über dem Boden. Bis heute.
Das leise Knarren der Tür riss ihn aus seinen bitteren Erwägungen, und er warf unwillkürlich einen Blick über seine Schulter. Seine Augen weiteten sich, als er sah, dass die Verbindungstür zwischen seinem und Clarissas Schlafzimmer ein Stück aufstand. Kerzenlicht sickerte herein.
»Adrian?« Clarissa tauchte im Türrahmen auf und blinzelte. »Wieso ist es hier so dunkel? Bist du da, mein Gemahl?«
Adrian öffnete die Lippen, um mit Ja zu antworten, und stockte bei dem Wort mein Gemahl . Gemahl. Es war das erste Mal, dass sie ihn so nannte, und sein Herz hüpfte in seiner Brust. Er war ihr Gemahl.
Und sie war seine Gemahlin, sann Adrian. Ihm stockte der Atem, als er sie in dem feinen Spitzennegligé sah. Es war durchscheinend, sündhaft aufreizend und enthüllte mehr von ihrem Körper, als es verbarg. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Ihre seidig glänzenden Haare fielen offen über ihre Schultern, umschmeichelten in weichen Wellen ihr bezauberndes Gesicht.
»Adrian?«
Er räusperte sich und setzte sich im Bett auf. »Ich bin hier. Du bist noch auf? Ich dachte, du schläfst schon längst.«
Zu seiner nicht gelinden Verblüffung wirkte Clarissa ärgerlich.
»Heute ist unsere Hochzeitsnacht, Mylord«, sagte sie – als erklärte das alles.
Adrian war sich indes nicht sicher, was er davon zu halten hatte. War sie etwa in sein Zimmer gekommen, um ihn darauf hinzuweisen? Schwer zu glauben, so wie sie sich den ganzen Tag verhalten hatte.
»Ich dachte, du bist müde und möchtest schlafen«, sagte er unschlüssig.
»Wie bitte?«, brauste Clarissa auf, die Entrüstung in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Wie lange willst du mich eigentlich noch warten lassen, bis wir unsere Ehe vollziehen?«
Au weia, die Dame klang ziemlich verschnupft. »Na ja, du wirktest auf mich den ganzen Tag sehr angespannt und nervös. Deswegen wollte ich Verständnis zeigen und …«
»Ich will kein Verständnis, Mylord. Ich will es endlich hinter mich bringen«, fauchte sie.
Schön zu wissen, dass sie es damit so eilig hatte, schoss es Adrian durch den Kopf. Seine Miene skeptisch, beobachtete er, wie Clarissa weiterlief, vor den kleinen Tisch neben der Tür stolperte und dabei eine Kerze umstieß, die gottlob nicht brannte. Leise fluchend bückte sich Clarissa und leuchtete mit ihrer brennenden Kerze den Fußboden ab,
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