Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
eine Feststellung.
Adrians Züge verhärteten sich, er starrte in die kalte Kaminasche und schwieg beharrlich.
»Sie sagten vorhin, die Brille von Mylady sei zerbrochen. Wieso haben Sie ihr eigentlich keine neue gekauft, bevor Sie mit ihr nach Mowbray kamen?«
Adrian zuckte ertappt zusammen und nahm einen großen Schluck Brandy.
»Sie haben Bedenken, dass sie Ihr Gesicht abstoßend findet.« Abermals waren die Worte des Butlers keine Frage.
»Ich beabsichtige, ihr in ein, zwei Wochen eine neue Brille zu besorgen«, schnaubte Adrian, der sich ärgerte, weil man ihm das schlechte Gewissen anmerkte.
Kibble blieb für eine kurze Weile stumm, sein Blick nachdenklich auf den ausgekühlten Kamin geheftet. Dann fragte er: »Hat sie kein eigenes Vermögen?«
»Was? Doch, sicher.« Zwischen Adrians Augenbrauen bildete sich eine scharfe Falte. Natürlich verfügte sie über ihr eigenes Geld. Seine Mutter hatte einmal erwähnt, dass Clarissa sich bei einem ihrer Anprobentermine ein kleines Fläschchen Parfüm gekauft habe. Und er wusste, dass sie, seit sie zwanzig war, eine kleine monatliche Apanage von ihrer Erbschaft erhielt. Das gesamte Erbe war ihr an ihrem Hochzeitstag überschrieben worden, und einen Teil des Geldes hatte Adrian auf ein Konto überwiesen, auf das sie Zugriff hatte. Der Rest sollte in Vermögenswerte investiert werden. »Wieso fragen Sie?«
Kibble zuckte abwiegelnd mit den Schultern. »Ach, war bloß so eine Frage, Mylord.«
Der Butler stand auf, kippte den letzten Rest Brandy hinunter und nahm das benutzte Glas mit zu dem Barwagen, wo er es abstellte. Dann wandte er sich zum Gehen. »Sie können sie auf die Dauer nicht halb blind herumlaufen lassen«, waren seine letzten Worte, bevor die Tür hinter ihm zuschwang. Adrian hätte ihn erwürgen können.
Er funkelte den kalten Kamin an und trank sein Glas leer, dann stand er auf und holte sich Nachschub. Was bildete sich Kibble eigentlich ein, in seinem Gewissen herumzupopeln? Adrians Schuldgefühl meldete sich auch so zu Wort. Die Stimme seines Gewissens fuhr ihn an, dass es garantiert zweckmäßiger für Clarissas Sicherheit wäre, wenn sie vernünftig sehen und mögliche Gefahren rechtzeitig erkennen könnte. Und dass es ebenfalls sinnvoll wäre, wenn er sie warnte, dass ihr jemand Böses wollte, denn dann würde sie sich allgemein umsichtiger verhalten. Indes hatte er für jeden Punkt Gegenargumente parat. Viele Augen sahen immer mehr als ihre zwei. Und sein ganzes Personal hatte Order, auf sie aufzupassen, damit wusste er sie in sicheren Händen. Punkt.
Ganz ohne Zweifel würde sie vorsichtiger sein, wenn sie um die lauernde Gefahr wüsste, sann er, aber sie wäre auch ängstlicher und besorgter, und er mochte sie auf gar keinen Fall in Angst und Schrecken versetzen. Clarissa blühte buchstäblich auf, seit sie nicht mehr unter der Fuchtel ihrer Stiefmutter stand. Und er wollte, dass das so blieb.
Sowohl das eine als auch das andere waren absolut stichhaltige Argumente, redete er sich ein, als er sich den nächsten Brandy einschenkte. Dumm war bloß, dass er damit die wahren Beweggründe nur verkleisterte, denn er wusste genau, warum er nicht wollte, dass sie eine Brille trug.
Seufzend fläzte er sich wieder in den Sessel und starrte brütend in sein Glas, während er über die Ungerechtigkeit des Lebens grübelte. Er hatte die ideale Frau gefunden, einen Menschen, den er mochte, begehrte und mit dem er gern zusammen war. Sie brachte ihn zum Lachen, und er fand, dass er dadurch umgänglicher und verständnisvoller geworden war. Zudem fühlte sie sich von seinem Anblick nicht abgestoßen. Aber, so fürchtete er, das war nur, weil sie ihn nicht richtig sehen konnte. Clarissa hatte er zu verdanken, dass er zu anderen erheblich netter und freundlicher war, aber zu ihr, dem einzigen Menschen, den er wirklich liebte, war er hart und egoistisch. Denn es war egoistisch, dass er ihr keine Brille beschaffte, obwohl das ganz einfach gewesen wäre, und ihr damit das Vergnügen versagte, Bücher zu lesen und sämtliche Facetten des Lebens in vollen Zügen zu genießen.
Er stellte das volle Brandyglas auf einen Beistelltisch und schälte sich missmutig aus dem weichen Sitzpolster. Er würde dafür sorgen müssen, dass Clarissa eine Brille bekam. Sonst würde er sich wie ein Schuft vorkommen. Er durfte sein Glück nicht über ihres stellen.
Kurz entschlossen verließ er den Salon und spurtete die Treppe hinauf. Clarissa, wir fahren morgen ins Dorf und
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