Liebe auf den zweiten Klick
klar, dass ich tatsächlich ein schrecklicher Mensch bin. Zumindest bin ich die schlechteste Freundin aller Zeiten. In all diesen Wochen hab ich mein jämmerliches Ego nicht ein einziges Mal beiseitegeschoben, um dich nach Kileys Hochzeit zu fragen. Das tut mir so leid.
Also, erzähl schon. Wie war die Hochzeit?
Von Beth an Jennifer: Warum liegst du denn nachts wach und denkst darüber nach, was für ein schrecklicher Mensch du bist?
Von Jennifer an Beth: Damit ich was zu tun hab, wenn ich nicht schlafen kann. Manche Leute zählen Schäfchen. Ich übe mich in Selbsthass.
Von Beth an Jennifer: Ich kann ja verstehen, dass du im Moment Schwierigkeiten hast einzuschlafen, aber nicht, warum du dich selbst hasst.
Von Jennifer an Beth: Nein? Wirklich nicht?
Von Beth an Jennifer: Nein. Was passiert ist, war ganz schrecklich, aber du bist deshalb nicht schrecklich.
Von Jennifer an Beth: Was passiert ist, ist passiert, weil ich schrecklich bin. Wie war die Hochzeit?
Von Beth an Jennifer: Nein, so war das nicht. Natürlich nicht. Glaubst du wirklich, den Leuten stoÃen schlimme Dinge zu, weil sie es verdienen?
Von Jennifer an Beth: Im Allgemeinen nicht, in diesem Fall schon.
WeiÃt du noch, wie die Hebamme mir gesagt hat, ich sollte mit dem Baby reden und dass es spürt, was ich denke und fühle? Wie ich gesagt habe, dass das doch verrückt ist, und du meintest, da ist wahrscheinlich doch was dran?
Na ja, inzwischen glaube ich das auch. Da war was dran.
Das Baby konnte spüren, was ich wollte. Ich hab mütterliche Signale durch die Nabelschnur geschickt oder so. Und während der ersten sechs oder sieben Wochen lautete die Nachricht: »Geh weg!« Geh weg, geh weg, geh weg. Und dann ist es eben gegangen.
Da kannst du mir jetzt widersprechen, so viel du willst, und mir erzählen, dass es nicht meine Schuld war und dass solche Sachen eben einfach passieren. Aber ich weià ganz genau, dass du trotz deiner liebevollen Beteuerungen besser als jeder andere weiÃt, wie negativ ich war, wie verunsichert und wütend und gemein. Ich weiÃ, dass dich das ganz schön mitgenommen hat.
Von Beth an Jennifer: Es stimmt, dass du ein Problem damit hattest und unglücklich warst, aber viele unglückliche Leute bekommen doch Kinder. Du kannst eine Schwangerschaft nicht einfach durch negative Gedanken abstellen.
Von Jennifer an Beth: Nicht einfach nur negativ. Sondern zersetzendes Gedankengut.
Von Beth an Jennifer: Aber das war doch längst vorbei. Du hattest akzeptiert, dass du schwanger warst. Viel mehr als das, du warst glücklich darüber.
Von Jennifer an Beth: Ganz schön ironisch, was? (Ist das jetzt ironisch oder einfach nur traurig? Manchmal bringe ich das durcheinander.)
Von Beth an Jennifer: Hör bitte auf. Du hast so viel durchgemacht, das solltest du jetzt nicht auf so eine simple Formel reduzieren. Du hast dich so schrecklich gefühlt. Du hast dich dem Ganzen gestellt â hast gegen die Bitterkeit und den Pessimismus angekämpft â und beschlossen, dass du nicht mehr so sein willst.
Von Jennifer an Beth: Gerade rechtzeitig, um eine furchtbare Enttäuschung zu erleben. Das ist der Dank.
Von Beth an Jennifer: Gut, du willst darin also wirklich eine Art ausgleichende Gerechtigkeit sehen. Dann überleg dir aber mal eines â die Lektion, die dir hier erteilt wird, könnte nämlich gerade sein, dass du dich nicht wieder auf deinen Zynismus berufen sollst. Selbst wenn das für dich die einfachste Lösung wäre. Vielleicht lautet die Moral, dass du dich am Riemen reiÃen solltest.
Von Jennifer an Beth: Das klingt jetzt aber ein bisschen hart.
Von Beth an Jennifer: Ich dachte, du wolltest, dass ich ehrlich bin.
Von Jennifer an Beth: Wenn das deine ehrliche Seite ist, dann solltest du vielleicht doch besser bei der üblichen Gefühlsduselei bleiben, Bemerkungen, die unter Kategorien wie »Aufmunterung«, »Bewältigung« oder »In dir ist etwas gestorben« fallen. »Jetzt reià dich aber mal zusammen« kann ich im Moment wirklich nicht gebrauchen.
Von Beth an Jennifer: So war das ja auch gar nicht gemeint. Tut mir leid.
Von Jennifer an Beth: Wie kann es denn sein, dass du das nicht so gemeint hast? Das hast du doch gesagt.
Von Beth an Jennifer: Dann hätte ich das eben nicht sagen sollen.
Kapitel 76
Von: Jennifer Scribner-Snyder
An: Beth Fremont
Gesendet : Mo., 14. 02. 2000, 15:15
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