Liebe auf den zweiten Kuss
ab, schob die Golftrophäe auf der Kühltruhe beiseite und schwang sich auf den verstaubten Deckel. »Ich bin fix und fertig. Gestern Nacht keinen Schlaf, heute den ganzen Tag gearbeitet, und jetzt muss ich auch noch zweitausend Teile von diesem Zeugs schleppen. Wann genau hat sie eigentlich den Halt verloren?« »Ich bitte dich, wie viele rennende Eierbecher hast du denn besessen?«, fragte Nell. »Und du isst noch nicht einmal Eier aus den Bechern. Nun komm schon. Lass uns die letzten Kartons nach oben tragen, bevor sie es sich anders überlegt und die Sachen behalten möchte.«
»Das kann sie gar nicht.« Suze glitt von der Kühltruhe herunter. »Sie braucht den Platz für ihre zweitausend neuen Teile der ›Fiesta‹-Keramik.« Suze klopfte sich den Staub von Rileys Trainingshosen. »Während sie schon dabei ist, könnte sie Stewarts Golftrophäe und seine Tiefkühltruhe auch noch loswerden. Schließlich ist Stewart auch nicht mehr hier.«
»Konzentrieren wir uns darauf, sie aus dem Haus zu bekommen.« Nell zog einen Karton mit der Aufschrift »Frühstücksservice« vom Regal. Als sie sich umdrehte, fiel ihr Blick auf die Kühltruhe, auf der die Golftrophäe wie ein Grabstein thronte.
Sei nicht albern , ermahnte sie sich. Allmählich sah sie wirklich überall Geister.
»Was ist denn?«, erkundigte sich Suze.
Du bist nur ein wenig sensibel, was Kühltruhen betrifft , ermahnte Nell sich selbst. Was Tiefkühltruhen anging, hätte Lynnie auch jeden anderen Geister sehen lassen.
»Warum starrst du die Tiefkühltruhe so an?«, fragte Suze. Nell stellte ihren Karton auf den Betonboden, ihr Herz klopfte wie verrückt.
»Du atmest merkwürdig«, sagte Suze und atmete selbst ein wenig merkwürdig.
Nell schluckte und ging auf die Tiefkühltruhe zu.
Vorsichtig hob sie die Trophäe herunter und stellte sie auf dem Boden ab. Dann atmete sie tief durch und versuchte, den Deckel zu öffnen.
Die Truhe war abgeschlossen.
»Wir brauchen einen Schlüssel«, wandte sie sich an Suze.
»Ich gehe ihn holen.« Eine Minute später kam Suze mit dem Schlüssel zurück. »Margie wollte noch nicht einmal den Grund erfahren.«
Anfangs klemmte der Deckel, dann gab er quietschend nach, als sei er seit Jahren nicht mehr geöffnet worden, wie ein Sarg in einem Vincent-Price-Film. Doch als Nell hineinsah, war er randvoll mit kleinen weißen Päckchen, die in schwarzer Schrift mit »Porterhousesteak, 6/93« und »Hüftsteak, 5/93« beschriftet waren.
»Gott sei gedankt.« Erleichtert ließ sich Nell gegen die Tiefkühltruhe fallen. »Es ist nur meine morbide Phantasie.«
»Alles ist aus dem Jahr 1993«, sagte Suze und ihre Stimme klang merkwürdig. »Diese Truhe wurde seit Stewarts Verschwinden nicht mehr benutzt.«
Sie sahen einander an, dann begannen sie, die oberste Lage der weißen Packungen herauszunehmen.
»Dieses Zeug gehört ohnehin in den Abfall«, sagte Nell und stapelte das Fleisch. »Das kann unmöglich noch essbar sein.«
»Und selbst wenn, würde Margie es ohnehin nicht essen«, stimmte ihr Suze zu. »Es ist nicht...«
Plötzlich stieß sie den Atem aus und Nell zwang sich, zu Suzes Ende der Tiefkühltruhe zu blicken.
Dort lag, in grünes Plastik eingehüllt, neben der einen Wange ein Päckchen mit der Aufschrift »gegrillte Hamburger, 6/93« und neben der anderen ein Päckchen mit der Aufschrift »gegrillte Schweinekoteletts, 5/93«, etwas von der Größe eines Männerkopfes.
Nell schluckte, atmete tief durch, dann zog sie das morsche Plastik beiseite. Darunter lag ein unappetitlich blaues, aufgedunsenes Gesicht mit blondem Haar und jeder Menge brauner Verkrustungen.
»Stewart«, sagte Nell.
22
Suze sagte, »o mein Gott«, wandte den Rücken der Tiefkühltruhe zu und glitt daran herunter. Nell nahm genügend Päckchen heraus, um zu sehen, ob der Rest von Stewarts Leiche ebenfalls vorhanden war oder ob ihn jemand geköpft und anderweitig zu Steaks verarbeitet hatte. »Er ist vollständig vorhanden.«
»Gut«, hauchte Suze vom Boden aus.
»Nun«, sagte Nell und bemühte sich, ruhig zu bleiben. Sie packte die Tiefkühltruhe wieder voll und versuchte das Fleisch so ordentlich wie zuvor zu stapeln.
»Äh, Nell?« Suzes Stimme klang immer noch unnatürlich schrill. »Wir müssen nachdenken«, erwiderte Nell, die immer noch das Fleisch verstaute. »Wir legen hier alles zurück und denken nach.«
Nachdem sie das letzte Paket eingepackt und den Deckel wieder verschlossen hatte, setzte sich Nell neben Suze, die ihren
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