Liebe auf eigene Gefahr Roman
Vollmond mir den Weg. Ich schlurfe den Hügel hinunter, biege hinter der Schule ab und nehme die Abkürzung quer über die Spielfelder. Das Knirschen des Schnees unter meinen Gummiprofilsohlen erinnert mich daran, wie er mit seinem Fahrrad damals mit vom frisch gemähten Gras grünen Reifen träge Kreise um mich zog. Meine Gedanken überschlagen sich vor Erinnerungen und erreichen Zeiten, als diese Erinnerungen bereits zu Anekdoten geworden waren.
Am Ufer des zugefrorenen Bachs entlang marschiere ich zur vornehmeren Seite der Stadt, wo sich die Häuser über
mehrere bewaldete Morgen Land ausdehnen, gesäumt von den niedrigen Steinmauern, mit denen die Siedler damals Croton unter sich aufteilten. Der Mond verschwindet hinter den Wolken, aber ich finde den Weg instinktiv, lasse mich von lokaler, aber auch von persönlicher Geschichte leiten. Indem ich durch die Nase ein- und durch den Mund ausatme, versuche ich, meinen Adrenalinspiegel zu zügeln und meinen Herzschlag zu verlangsamen, als wäre das hier erst der fünfte Kilometer beim morgendlichen Joggen. Ich finde mein Tempo, ordne meine Gedanken, vertraue darauf, dass die Worte einfach … da sein werden, wenn ich ihn sehe. Sie werden zu mir kommen.
Als ich um die Kurve in die Bluebell Lane biege, spüre ich, wie sich die tiefschwarze Dunkelheit verdichtet. »Da kommt jemand!« Plötzlich blendet mich ein Arsenal an Xenonlampen und flutet meine Sicht.
» Wer sind Sie? « » Sind Sie hier, um Jake zu treffen? « » Sind Sie eine Freundin von ihm? « » Woher kennen Sie ihn? « » Sind Sie eine Freundin der Familie? « » Sind Sie zusammen zur Highschool gegangen? « » He! « Jemand schnipst einen Finger vor meiner Nase. » Wie ist er wirklich? « » Wie war er in der Highschool? « Die Hysterie verstärkt sich, und die Fragen stürmen in einer unverständlichen Kakophonie auf mich ein. » Hat er schon immer so viel Talent gehabt? « » War er der beliebteste Junge in der Schule? « » Sah er schon immer so umwerfend aus? «
»Äh …« Meine Äußerung lässt sie verstummen. Alle nationalen Nachrichtenanstalten hängen an meinen Lippen, unter meinem Kinn drängeln sich die Mikrofone in Position. Sagetwas. Sag. Etwas. »Er … Ich … Ich würde sagen …« Doch dann sind plötzlich die Gesichter der Reporter grell beleuchtet, und ich folge ihren abschweifenden Blicken zu den Halogenscheinwerfern, die hinter mir die Ankunft einer Kavalkade aus Limousinen ankündigen.
»EDEN!« Ich bin vergessen. Wie von Amöben absorbiert,
rollen die Fahrzeuge in die Masse aus Journalisten hinein, die mit lauten Handschlägen gegen die Metallrahmen fordern: »LASSEN SIE DAS FENSTER RUNTER!« Sehr verlockend, da bin ich sicher. Ich nutze die Ablenkung, mache kehrt und gleite zurück in die Dunkelheit, bevor ich einen schnellen Schlenker nach links auf das Grundstück der Ackermans mache und im Dauerlauf im Wald verschwinde – und das im Zeitalter der Elektrozäune. Mein Leichtsinn treibt mir das Blut ins Gesicht, ich werde langsamer. Meine Botschaft dürfte zwangsläufig an Nachdruck verlieren, wenn ich sie überbringe, während schwarzer Rauch aus meinen Haaren aufsteigt.
Nachdem ich die Schlucht erreicht habe, schlängle ich mich zurück in Richtung der Sharpes, zum nördlichen Rand ihres Grundstücks, wo die Steinmauer unterbrochen ist und etwa hundert Meter Stacheldraht ihr Königreich begrenzen. Ich taste mich voran, und meine Finger gleiten vorsichtig über den Draht, während ich bete, dass die Anbauten an ihr rasant wachsendes Anwesen nicht die Ausbesserung der Lücke nach sich gezogen haben. Und dann fühle ich sie, die Stelle, an der die oberste Reihe hochgedrückt, die unterste hinuntergebogen und die mittlere mit einer Zange durchtrennt wurde. Ich ducke mich hindurch und renne stolpernd mit unbeholfenen, seitlichen Schritten den Abhang hinunter, angetrieben vom Adrenalin. Das einzige Geräusch ist mein keuchender Atem.
Als ich aus dem Wäldchen trete, habe ich zum ersten Mal freien Blick und bleibe fassungslos stehen. Das Gebäude, das immer noch auf einer gut einen Morgen großen Lichtung steht, wirkt durch den Anbau eines dritten Stockwerks noch mehr wie eine Schichttorte auf einer überdimensionalen Porzellanplatte. Susan hat es immer schon gehasst, Bäume in der Nähe des Hauses zu haben – sie machten sie »nervös«. Ich frage mich, wie ihre »Nerven« es verkraften,
dass ihr Erdgeschoss aussieht, als wäre es zum Schauplatz der Himmelfahrt Christi erkoren
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