Liebe auf südlichen Straßen
blaß wie Kalk. Der linke Fuß fehlte ihm bis zur halben Wade, und aus der zerfetzten Hose rann das Blut. Ich zog einem Toten das Verbandszeug aus dem Innenfutter der Jacke, aber der Mullstreifen riß wie Zunder, als ich die Blutung abzuschnüren versuchte. Schließlich gelang es mir mit Hilfe von Pauls Leibriemen. Ich flößte ihm aus meiner Feldflasche wasserverdünnten Wein ein, der ihn belebte.
»Hast du Angela gesehen, Lorenz?«
Ich schüttelte den Kopf: »Nein, Paul — zuletzt sah ich sie oben auf der Straße, kurz bevor die Schweinerei losging...«
»Such sie, Lorenz!« sagte er, »und wenn sie tot ist... dann will ich auch nicht mehr... verstehst du... ich habe die Schnäuze bis zum Rand voll...«
»Red keinen Quatsch, Mensch, und bleib hier liegen. Ich suche sie! Aber rühr dich nicht vom Fleck, und rühr nicht ans Bein!«
Hein verband einen Mann, dem der rechte Arm aufgerissen worden war. Er erbrach sich dabei, aber er sah sich schon nach dem nächsten um, der Hilfe brauchte. Ich stolperte in jene Richtung davon, in der ich Angela zuletzt gesehen hatte. Und plötzlich stand sie vor mir. Das heißt, ich erkannte sie nicht. Ich sah einen Mann, dem Blut über die Stirn lief und dem das Haar bis zur Kopfhaut abgesengt war.
»He, Maresciallo!« schrie sie mich an, »hast du Paolo gesehen?«
»Um Himmels willen, Angela!« sagte ich und packte sie an den Schultern, »bist du verwundet?«
»Ach, was! Ein Kratzer an der Stirn, nichts weiter. Und mir ist verdammt kalt am Kopf. Sag mir, zum Teufel, endlich, ob du Paolo gesehen hast!«
»Er ist verwundet...«
»Ahimè!« schrie sie auf, »er ist tot!«
»Nein, er ist nicht tot! Ein Splitter hat ihm den linken Fuß abgerissen...«
»Wo liegt er? Los, so führ mich schon zu ihm hin!«
Ich rannte voran und sie hinter mir drein, Hein Puhvogel schloß sich uns an. Paul Borngräber lag da, wie ich ihn verlassen hatte. Die Schmerzen hatten noch nicht eingesetzt. Er lag auf dem Rücken und hatte das verwundete Bein auf einem Steinbrocken hochgelagert. Angela stürzte zu ihm hin und kniete neben ihm nieder. Im ersten Augenblick ging es ihm wie mir, daß er sie nicht erkannte. Und dann seufzte er auf, und ein breites Grinsen ging über sein Gesicht.
»Paolo, amore!« schluchzte sie und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. »Oh, madonna, ich danke dir, daß er lebt!«
»Ach, Angela, dein Haar wächst nach, aber ich bin keine Eidechse; der Fuß ist hin...«
»Halt den Mund, Paolo!« sagte sie zärtlich, »wir haben zusammen drei Beine, das langt vollauf!« Und dann schrie sie uns beide, die wir dabeistanden, an: »Avanti, ihr zwei! Hebt mir Paolo auf den Rücken und kümmert euch um die anderen Verwundeten! Mit Paolo werde ich schon allein fertig. Jetzt nichts als raus aus diesem Kessel, ehe die verfluchten Bomber wiederkommen!«
Wir luden ihr Paul auf den Rücken, und sie trabte mit ihm augenblicklich davon.
»Mensch, maresciallo, was für ein Weib!« sagte Hein Puhvogel und schneuzte sich geräuschvoll mit zwei Fingern. »Wenn Paule draufgehen sollte, wird Angela meine Frau, und wenn sie von ihm Zwillinge kriegt!«
»Denkst du, mein Junge!« schrie ich, »wenn einer von uns beiden Angela heiratet, dann bin ich es, verstanden! — Und jetzt ran an die Arbeit!«
Rings herum schrien die Männer nach den Sanitätern. Die wenigen Unverletzten und Leichtverletzten leisteten den Kameraden Erste Hilfe. Es fehlte an Verbandmaterial. Die kleinen Notverbandspäckchen, die jeder Mann bei sich trug, waren längst aufgebraucht und vielleicht höchst nützlich, wenn man sich beim Kartoffelschälen in den Finger geschnitten hatte. Wir mußten schweißgetränkte und schmutzige Wäschestücke nehmen, um wenigstens die kleineren Verletzungen zu verbinden. Zum Glück kamen die Bomber nicht zurück. Und endlich, uns schienen Stunden vergangen zu sein, kamen die ersten Ärzte und Sanitäter von den rückwärtigen und vorderen Kolonnen heran, die nicht in den Todeskessel geraten waren. Angela und Paul blieben verschwunden. Daß sie durchgekommen waren und was aus ihnen geworden war, erfuhr ich acht Jahre später: Angela hatte ihn in der Nähe von Arezzo in ein Lazarett eingeliefert und war in seiner Nähe geblieben, auch später, als die Alliierten Arezzo überrollten und Paul in amerikanische Gefangenschaft geriet. Mit einer tadellosen Prothese auf freien Fuß gesetzt, war er mit Angela zunächst zu deren Eltern nach Pastola zurückgegangen und machte, als sich die Verhältnisse in
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