Liebe auf südlichen Straßen
mir nie einfallen!«
»Sie ist wirklich die stärkste Madonna von ganz Italien, vielleicht sogar von der ganzen Welt! Von weit her kommen die Menschen, um vor ihr niederzuknien.«
Ich hütete mich zu lächeln. Ihr Glaube rührte mich tief an. »Dann dürfen wir wohl hoffen«, sagte ich.
»Meinst du, daß es sehr lange dauern wird, bis wir heiraten?« fragte sie und fügte ängstlich hinzu: »Du willst mich doch heiraten, Lorenzo...?«
»In dieser Stunde, wenn es ginge!« antwortete ich und zog sie in meine Arme, »aber es geht leider nicht. Und es geht schon deshalb nicht, weil ich nichts bin und nichts besitze.«
»Ich weiß, daß ich vielleicht lange auf dich warten muß. Aber ich werde gern auf dich warten.«
»Ich fürchte nur, wir werden alt und grau sein, bis dein Vater zu dieser Ehe seine Einwilligung gibt.«
»Ach, meintest du das, als du von den vielen Mächten sprachst, die uns zu trennen versuchen werden?«
»Ja, amore, hauptsächlich das!«
»Ich bin seit meinem achtzehnten Lebensjahr mündig!«
»Aber du hast es nicht einmal durchsetzen können, daß du studieren oder dich in einem Beruf ausbilden durftest...«
»Ja, weißt du, bis heute hatte ich keinen Mut. Aber das ist jetzt ganz anders!«
Ich zog ihre Hand an meine Lippen und küßte sie. Je mehr Gina sich mir anvertraute und je mehr sie mir von ihrem Wesen offenbarte, um so stärker zog sie mich an. Ihre körperliche Schönheit hatte mich, als ich sie das erstemal sah, wie ein Blitzstrahl geblendet, und sie blendete mich noch immer. Aber fast noch reizvoller fand ich den Menschen in ihr. Diese schillernde Facette ihres Charakters, in dem sich die merkwürdigsten Gegensätze zu einem bezaubernden Bild fügten. Sie war ein modernes Mädchen, trotzdem glaubte sie fromm an den Engeltransport eines ganzen Hauses durch die Lüfte; sie interessierte sich für Kunstgeschichte, aber sie war fest davon überzeugt, der heilige Lukas habe die Madonna von Loreto nach dem Leben geschnitzt; sie war bewußt und gescheit, dabei aber von der wunderbarsten Naivität, eine erwachsene junge Dame und ein reizendes Kind, in der Furcht des Herrn erzogen und zu jedem Ausbruchsversuch bereit. Vielleicht wäre sie, wenn ich die Situation ausgenutzt hätte, sogar zur letzten Hingabe fähig gewesen, aber ich wußte, in welche schweren Konflikte ich sie gestürzt hätte, vor ihrer Familie und vor Don Serafino.
Ich mußte gehen, denn die Dämmerung brach schon herein, und es wurde um diese Jahreszeit rasch dunkel.
»Wann sehen wir uns wieder, Lorenzo?«
»Immer, wenn ich eine freie Stunde habe!«
»Ich werde hier jeden Tag auf dich warten. Und wenn ich einmal nicht kommen kann, dann findest du eine Nachricht von mir.«
Sie nestelte den Verschluß einer dünnen Goldkette auf, an der sie zwischen den Brüsten ein goldenes Amulett mit dem geprägten Bildnis der schwarzen Madonna von Loreto trug. »Du brauchst ihren Schutz nötiger als ich...«, und sie hängte mir das Amulett, das warm war wie ihre Haut, um den Hals.
Es vergingen in den folgenden Wochen und Monaten selten mehr als drei Tage, an denen wir uns nicht sahen. Und jedesmal war die Begegnung ein Erlebnis, das uns entflammte, als würde das Feuer neu entzündet, und jedesmal war es ein Abschied, als würde die Flamme für ewige Zeiten erstickt. Auch der einbrechende Winter meinte es gut mit unserer Liebe. Es war mild, und die Regenfälle und Stürme hielte nie lange an. Die Front stand noch immer Gewehr bei Fuß. Nach jedem größeren Fliegerangriff auf Genua und die Küstenorte der Bucht lauschte ich nach Süden in der bangen Erwartung, die Eröffnung des Artilleriefeuers und das mahlende Anrollen der Panzer zu hören; und aus sehr persönlichen Gründen empfand ich für General Patton und sein Zögern fast ein Gefühl der Dankbarkeit.
An einem stürmischen Abend, an dem ich meinen Rundgang durch Camogli schon beendet hatte und nach einer Osteria suchte, um noch ein Glas Roten zu trinken, traf ich auf Don Serafino. Ich war ihm bisher tunlichst aus dem Wege gegangen. Es war ein abenteuerliches Bild. Der Mond blinkte hinter jagenden Wolken auf, als wir uns in dem engen Straßenschacht begegneten. Turmhohe Häuser rechts und links, verdunkelte Fenster, die grünen Augen einer Katze und das schwappende Geräusch des Wassers im Fischerhafen. Er ging mit flatternder Soutane zwischen zwei Ministranten, die die heiligen Geräte trugen und kam von einem Kranken, dem er die Sterbesakramente gespendet hatte. In
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