Liebe braucht keine Hexerei (German Edition)
wenigstens weiterleben. Langsam gehe ich rückwärts. Doch der Hund sorgt für einen konstanten Abstand zwischen uns, indem er jeden Schritt in meine Richtung mitmacht. Wenn ich nur wüsste, ob ich nun gleich zu seiner Beute werde oder ob er mich einfach nur die nächsten paar Stunden anbellen möchte. Dieses Wissen wäre durchaus hilfreich. Ich könnte mich entscheiden, entweder schnell noch über ein paar Änderungen in meinem Testament nachzudenken oder abwartend meine Arme zu verschränken, bis jemand zu meiner Rettung herbeieilt. Unter den aktuellen Umständen aber muss ich abwarten und meinen letzten Willen zugleich verfügen. Das ist unersprießlich.
„Was ist das denn hier für ein Radau?!“, brüllt eine Stimme, die sich nähert.
Erlösung ist in Sicht. Mr. Barclay kommt um die Ecke und sieht auf sein Untier und dann auf mich. Sofort eilt er zu dem Hund und ergreift ihn am Halsband.
„Ja, Clark, was ist denn los mit dir? Was regt dich denn so auf?“, redet er sanftmütig mit der Bestie, um sie zu beruhigen, während er neben ihr kniet und sie liebevoll streichelt. Wie schön, dass ihm das Wohl seines Raubtieres Clark so wichtig ist und es offensichtlich keine Rolle spielt, welche seelischen Blessuren mir diese Bellattacke zugefügt hat.
„Danke, mir geht es gut“, bemerke ich ungefragt.
„Ja, das sehe ich. Aber ich verstehe nicht, warum Clark sich so aufführt. So hat er sich noch nie benommen. Er ist üblicherweise ein friedsames Tier. Haben Sie etwas getan, was ihn vielleicht gereizt hat?“, erkundigt er sich nüchtern.
„Oh ja, das habe ich“, antworte ich gekränkt. „Ich habe mir erlaubt, den Stall zu verlassen und habe doch tatsächlich einfach einen Schritt über die Türschwelle gewagt. Das konnte das arme Tier natürlich nicht ahnen. Es musste sich ja förmlich zu Tode erschrecken. Wie gut, dass ich nicht tollwütig bin, sonst hätte ich dem armen Clark womöglich noch ein Ohr abgebissen.“
Unversehens erhebt sich Mr. Barclay und kommt verärgert auf mich zu.
„Ich habe Ihnen eine harmlose Frage gestellt, Miss Robertson. Glauben Sie nicht, es wäre höflich, einfach darauf zu antworten? Ihren anzüglichen Unterton finde ich absolut unangebracht.“
„Und was glauben Sie, wie ich mich dabei fühle, von einem missgelaunten, nicht angeleinten Hund in die Mangel genommen zu werden, während niemand in der Nähe ist, um mir zu helfen? Haben Sie daran schon mal gedacht? Es ist wirklich umsichtig von Ihnen, sich gleich um Ihren armen Hund zu kümmern, dessen Verhalten Ihnen anscheinend Sorge bereitet. Nur können Sie sich vielleicht vorstellen, dass ich bis eben gerade eine Heidenangst hatte? Dass Ihr Interesse lediglich Ihrem Hund gilt, finde ich absolut unangebracht!“
Seine verdunkelten Augen machen mir seine Verärgerung über mich deutlich. Ich wüsste gern, wie dunkel meine Augen in diesem Augenblick glühen? Falls giftgrüne Augen überhaupt dunkel glühen können. Denn meine Empörung scheint seinen Unmut bei Weitem zu übersteigen. Und damit meine kleine Explosion nicht zu einer gewaltigen Detonation ausufert, beschließe ich, augenblicklich zu gehen. Doch Mr. Barclay zieht mich schroff am Arm zurück.
„Ich glaube nicht, dass wir beide schon fertig miteinander sind“, stellt er schonungslos fest.
Also, was mich angeht schon. Ich bin fix und fertig. Jetzt brauche ich erst mal Zeit, mich von diesem Schreck zu erholen.
„Ich finde, wir sollten uns noch mal über Ihr Benehmen unterhalten, Miss Robertson.“
Was?! Mein Benehmen? Da wüsste ich aber noch ein viel besseres Thema. Nämlich sein eigenes Benehmen.
Wortlos halte ich seinem Blick stand und warte auf die Fortsetzung seiner Moralpredigt.
„Da Sie offensichtlich von Ihren Mitmenschen erwarten, sich immer im Sinne Ihres Rechtsempfindens zu verhalten und Sie ihnen ziemlich wenige Spielräume lassen für andere Handlungsweisen, sollten Sie damit rechnen, dass andere von Ihnen das Gleiche erwarten.“
„Ich verstehe Sie nicht ganz, Mr. Barclay. Ganz sicher erwarte ich nichts von meinen Mitmenschen. Und es handelt sich auch nicht um mein eigenes Rechtsempfinden, sondern um das Rechtsempfinden eines jeden Menschen.“
Er kann doch nicht ernsthaft meinen, dass ich es angemessen finde, wenn er zuerst den Hund nach seinem Befinden fragt, bevor er auf mich aufmerksam wird, obwohl doch der Hund den Streit mit mir gesucht hat und nicht ich mit ihm. Unfassbar!
„Ihrer Ansicht zufolge“, knüpft er nun an, „würde
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