Liebe braucht keine Hexerei (German Edition)
Bruch. Während meiner Zeit als Krankenschwester habe ich einige solcher Brüche behandeln müssen. Dies ist gewiss kein schöner Anblick. Doch Charly hat quasi Glück im Unglück gehabt. Falls man dies in dieser bedenklichen Lage überhaupt noch so umschreiben kann. Ich versuche ein waghalsiges Manöver und zerre Charly am Rücken mit aller Kraft nach vorne, damit Mr. Barclay die Möglichkeit bekommt, sein Bein hervorzuziehen. Doch der Versuch misslingt. Charly reagiert völlig panisch auf meine Aktion und schlägt mir fast einen Huf ins Gesicht. So komme ich nicht weiter. Obwohl diese Situation und meine Bereitschaft, helfen zu wollen, fast aussichtslos erscheint, spüre ich eine erstaunliche Ruhe in mir. Aus irgendeinem Grund lege ich intuitiv meine Hände auf Charlys verletztes Bein. Irgendwie hoffe ich, dass meine Tante Recht hat und meine Hände in der Lage sind zu heilen. Dabei rede ich leise auf das verletzte Pferd ein. Es gelingt mir tatsächlich, es auf diese Weise zu beruhigen. Ich frage mich, ob ich Charlys Schmerz lindern konnte. Was für ein verrückter Gedanke! Also wage ich es nun, Charly am Zügel auf die Beine zu ziehen. Nach einer kurzen Weile bewegt er seinen Kopf in meine Richtung und versucht, mit aller Kraft aufzustehen. Ein paar Mal wippt er nur erfolglos hin und her, doch bei seinem nächsten Schwung ziehe ich kraftvoller am Halfter und was bis eben noch unmöglich schien, hat funktioniert. Charly steht und Mr. Barclays Bein ist frei. Sofort fällt mein Blick wieder zu David Barclay, der regungslos daliegt. Ich beuge mich besorgt über ihn und kontrolliere seinen Atem, als er auf einmal seine Augen aufschlägt.
„Wie ist Ihnen das nur gelungen?“, fragt er in einem leisen Ton.
„Das ist jetzt nicht wichtig. Was fehlt Ihnen Mr. Barclay? Können Sie sich bewegen?“
„Mein Bein. Es schmerzt.“
Erleichtert nehme ich diese Aussage zur Kenntnis. Wenn sein Bein schmerzt, dann spürt er es wenigstens noch. Unter diesen Umständen kann ich davon ausgehen, dass sein Rückgrat nicht verletzt ist.
„Können Sie Ihre Finger und Ihre Hände bewegen?“
Er nickt und legt seine rechte Hand auf meinen Arm. Mit meiner anderen Hand drücke ich die seine und lächle ihm ermutigend zu. Als er mein Lächeln erwidert, bemerke ich eine gewaltige Erleichterung, dass er diesen unheilvollen Sturz − bis auf eine mögliche Gehirnerschütterung und eine Beinverletzung − weitgehend unbeschadet überstanden hat. Nicht auszudenken, wenn ihm das gleiche Schicksal wie seinem Vater ereilt hätte. Jacob erzählte mir, dass Mr. Barclay senior letztes Jahr bei einem Reitunfall ums Leben kam und sein Sohn den Tod des Vaters bis heute nicht verwunden hat.
Vielleicht ist dies auch der Grund für seine manchmal barsche Art. Ein Selbstschutz gegen Verletzungen von außen. Auch wenn er bei einigen seiner Mitarbeiter wegen seines rauen Führungsstils gefürchtet ist, so wird er doch von allen respektiert und hochgeschätzt. Der Hof wäre ohne David Barclay nicht mehr derselbe. Seine ganze Persönlichkeit ist mit diesem Anwesen verbunden. Auch ich fühle mich gewissermaßen mit ihm verbunden. Es vergeht kein Tag, an dem ich keine leidenschaftlichen Dispute mit ihm ausfechte. Genau genommen bin ich fast immer anderer Meinung als er. Trotzdem scheinen ihm unsere Kontroversen direkt Freude zu bereiten. Jedenfalls scheut er sie nicht, eher fordert er sie mitunter sogar heraus. Selbstverständlich ist mir nicht entgangen, dass er sehr nachsichtig mit mir umgeht. Obwohl ich meine Aufsässigkeit hin und wieder mäßig übertreibe.
Schnell wende ich mich seinem Bein zu. Ich muss überprüfen, ob es gebrochen ist. Meine Hände gleiten über seine Wade und tasten sie vorsichtig ab. Ein Bruch scheint es nicht zu sein. Vielleicht nur eine Verstauchung. Das sollte sich in jedem Fall ein Arzt anschauen.
„Ich glaube nicht, dass Ihr Bein gebrochen ist, Mr. Barclay. Aber es wäre sicher das Beste, dies von einem Arzt abklären zu lassen. Ich werde jetzt zum Hof laufen und einen Krankenwagen anfordern. Machen Sie sich keine Sorgen, es wird alles wieder gut.“
Eine halbe Stunde später wird Mr. Barclay vom Rettungswagen in die Klinik gefahren. Jacob, George und ich sehen dem Wagen nach, als Veronica mit einem Mal dazustößt.
„Mein Gott, ich hab eben erst davon erfahren. Wie geht es David?“
David?
„Es geht ihm soweit gut. Er wird ganz sicher wieder gesund“, antworte ich ihr und sehe besorgt zu Charly, der immer noch
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